Mittwoch, 18. Mai 2011

Interessenskonflikte

Am 14. und 15. Mai 2011 war der Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland in Heidenheim. Für mich waren diese beiden Tage in mehrerlei Hinsicht sehr relevant:

Zunächst einmal möchte ich mich bei allen bedanken, die für die Reformierung der Schiedsgerichtsordnung gestimmt haben, und so bewiesen haben dass es auch heute in der Partei noch möglich ist umfangreiche Texte zu beschließen und komplexe Projekte zu verwirklichen. Ich danke allen die an der Formulierung mitgewirkt haben, die Ideen und Anregungen geliefert haben, und die mittels Abstimmungen ihre Meinungen dazu kundgetan haben. Und auch schonmal bei denen, die sich bereit erklärt haben am SGO-Feinschliff bis zum nächsten Parteitag mitwirken zu wollen.

In der nachfolgenden Wahl wurde ich dann auch noch zum Bundesschiedsrichter gewählt. Leider bedeutet das für mich, dass ich den ruhigen Posten als Schiedsrichter in Bayern aufgeben muss, um stattdessen ab sofort am stetig stürmischen Oberdeck die Planken zu wienern. Danke also auch dafür. (Ja, dieses ‘Danke’ ist höchst zynisch. Aber nur ein bischen.)

Am Sonntag geschah dann etwas für mich unerwartetes: Wir haben es nicht nur geschafft einen vollständigen Vorstand zu wählen, sondern der Bundesparteitag hat auch noch Gefion als Beisitzerin reingewählt.

Schon bei der Kandidatenbefragung kam dann laut Protokoll folgende Frage auf: “Welche Differenzen könnte es zwischen dem BSG und dem BuVo geben, aufgrund der Sache, dass dein Freund im BSG ist?”

Dies ist eine gerechtfertigte Frage. Gefion hat sie auf dem Parteitag verneint, und darauf hingewiesen dass wir zwei verschiedene Personen sind. Ich wurde in Heidenheim nicht dazu befragt - wie auch, meine Wahl war zu dem Zeitpunkt schon erledigt - möchte aber dazu Stellung nehmen, in der Hoffnung dann das Thema in der kommenden Amtsperiode nicht mehr aufgreifen zu müssen.

Wir haben uns nach Heidenheim über das Thema unterhalten, sind uns der Problematik bewusst und sind über unseren Umgang damit einig.



Stellungnahme bezüglich möglicher Interessenskonflikte Bundesschiedsgericht-Bundesvorstand



1. Vertraulichkeit von Fallinterna


Auch nach der neuen Schiedsgerichtsordnung haben Richter während eines Verfahrens ihre Arbeit außerhalb des Richtergremiums nicht zu kommentieren. Ich sehe keinen Anlass hiervon Ausnahmen zu machen.

Oder etwas flapsiger gesprochen: Bisher haben wir es geschafft uns in unseren Gesprächen auch über nicht-Piratenthemen zu unterhalten, und ich hoffe das auch in Zukunft so beibehalten zu können. Wenn ich die Telefonaktivitäten nach dem BPT als Richtwert auffassen darf, werde ich vermutlich in Zukunft eh Termine machen müssen um überhaupt noch mit ihr zu sprechen.


2. Befangenheit


Ich werde keine Probleme damit haben nach Sachlage und ohne Ansehen der Person die Verfahren zu führen und Urteile zu verfassen. Könnte ich das nicht, wäre ich nicht zur Wahl angetreten. Hätte ich ernsthafte Bedenken dass Gefion im Bundesvorstand irgendetwas daran ändern würde, wäre ich noch am Parteitag nach Gefions Wahl zurückgetreten.

Ich kann zwar verstehen wenn man meine Befangenheit befürchtet, erbitte mir jedoch die Gelegenheit mich zu beweisen. Nach der SGO kann vor dem BSG jede Streitpartei meine Ablehnung wegen Befangenheit beantragen. Die Entscheidung ob Befangenheit vorliegt, fällt dann das Bundesschiedsgericht ohne mich (§5 Abs 5 SGO). Ich habe in der konstituierenden Telefonkonferenz heute meine Kollegen eingehend informiert, und sie sehen (einstimmig) in der aktuellen Situation kein Problem.


3. Verbandelung des Bundesvorstands und des Bundesschiedsgerichts


Mein Idealismus verlangt dass die Bundesorgane ähnlich sauber getrennt bleiben müssen, wie Exekutive und Iudikative in der Staatstheorie. Sollte ich diese Trennung in Gefahr sehen, oder mich nicht mehr in der Lage sehen objektiv urteilen zu können, werde ich mich aus dem konkreten Verfahren zurückziehen oder gegebenenfalls auch mein Amt niederlegen. (§5 Abs 2, §5 Abs 1 SGO)
Eine Verfahrensbeeinflussung von außen - egal ob durch den Bundesvorstand oder durch andere - werde ich in keinem Fall zulassen!

Eine saubere Trennung heißt jedoch nicht strikte Funkstille. Gerade in der letzten Amtsperiode hatten die beiden Bundesorgane untereinander manchmal deutliche Kommunikationsschwierigkeiten. Von daher sehe ich in der aktuellen Konstellation auch eine Chance das Verhältnis zwischen den Bundesorganen wieder zu reparieren, damit sie sich einander wieder mit dem gebührenden Respekt begegnen können.

Ich bin mir sicher dass ich sowohl für Gefion als auch für mich sprechen kann, wenn ich sage dass wir beide in unseren Tätigkeiten für Transparenz einstehen. Im Vorstand ist klar wie das aussehen kann, für das Schiedsgericht zeigen meine Formulierungen z.B. in SÄA030 wie ich mir dort Transparenz vorstelle. Jede Transparenz hat allerdings Grenzen. In diesem Fall endet die Transparenz an der Grenze zwischen Pirat- und Privatsphäre. Eine Einmischung in mein Privatleben werde ich mir von keinem Parteiorgan oder -mitglied gefallen lassen.



Und wer mir nun einen Kuschelkurs gegenüber dem BuVo unterstellen will: Gegenseitiger Respekt heißt nicht Kuschelkurs. Das Leben ist kein Ponyhof, und das BSG kein Streichelzoo.

Mit mir schon gleich gar nicht.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Liquid #Liquidizer - Die Software die von außen kam

Dieser Blogpost ist eine Antwort auf "Gedanken zum Liquidizer" von Sebastian Jabbusch.




Fehlender Datenschutz: Security by Obscurity

Schon die Überschrift... Security by Obscurity suggeriert den Eindruck eines Problems. Allerdings ist Security by Obscurity mitnichten ein Problem in der IT Sicherheit, sondern es kommt auf das Gesamtkonzept an.
Jede Passwortabfrage - auch die bei Liquid Feedback - ist per Definition Security by Obscurity. Wieso soll das nun bei den einen ein Problem sein, und beim anderen nicht? Weil man das Passwort (also den Code in der Mail) nicht ändern kann? Im Gegenzug expired das Passwort ja auch in weniger als 10 Tagen. Darauf jetzt die Riesensicherheitslücke aufzuhängen ist populistisch. Zeig mir einen 0-day-exploit und ich könnte dir glauben.

Dass die Accounts Benutzern zuordenbar sind ist doch nun nicht die große Neuigkeit. Das ist bei LQFB genauso. vgl http://uxp.de/12
Nun war man beim Liquidizer ehrlich, und hat auf die Verschaukelungsschicht - tschuldigung, Obscurityschicht - Clearingstelle verzichtet. Du siehst wie Security by Obscurity funktioniert?

"Schließlich lassen sich aus meinen Abstimmungen durchaus einige politische Aussagen ablesen."
Schade, daraus schließe ich dass du am #bpt11 nicht anwesend sein wirst, denn aus den dortigen Abstimmungen mit deiner Stimmkarte werden sich politische Aussagen ablesen lassen. Was war der letzte Satzungs- und Programmantrag der geheim abgestimmt wurde? Gabs niemals? Oh. Sowas auch.

Fazit: Vorgeschobene Datenschutzdebatte. Irrelevant.

Fehlende Transparenz: Der perfekte Wahlcomputer

Schon die Überschrift... Der Begriff Wahlcomputer suggeriert es geht um Wahlen. Tatsächlich geht es nicht um Wahlen, es geht nichteinmal um Beschlüsse. Es geht um einen Vorschlag zur Tagesordnung für den Bundesparteitag.
Genau die gleiche Debatte, nur mit umgekehrten Vorzeichen und Teamfarben wurde bei Liquid Feedback zur Parteitagsvorbereitung auch geführt. Team Rot schrie Wahlcomputer, Team Blau schrie Es gibt keine Wahlen.
Ich war übrigens bei Team Blau. Vgl http://uxp.de/17
Und ich bin heute noch bei Team Blau. Es gibt im Liquidizer keine Wahlen.

An der Stelle: Hallo an @beapirate :) Viel Spaß diesmal im anderen Team. [Nachtrag: Wir waren nämlich früher mal im selben Team.]

Niemand außer der Administrator kann im Liquidizer einsehen, wie die Nutzer jeweils abgestimmt haben.

Falsch. Ein Klick auf den Antrag ergibt die Liste wer zu dem Antrag abgestimmt hat. Zustimmung, Ignorieren, Ablehnung, Delegation ist sichtbar.

"Ob sich die anderen Nutzer mit +/-1, +/-2 oder +/-3 auf die Abstimmungen Einfluss nahmen, wissen die Nutzer nicht."
Doch. Beispiel?
flibble hat (aktuell) PA003 mit +2, PA002 mit -2, PA067 mit -1 bewertet. Und nein, dazu brauche ich keinen Master in der Mathematik.

Ausserdem ist das ein Scheinargument, da die genaue Gewichtung des Benutzers nur in Relation zu den anderen Gewichtungen relevant ist, und das ist ja genau erkennbar. Ob ein User alles mit +1,-1 oder alles mit +3,-3 abstimmt ist ja genau irrelevant.

"Die absurdesten Bruchzahlen sind übrigens (+0,00) und (-0,00). Wer mir die erklären kann, dem geb ich auf dem Parteitag nen Bier aus."
+0,00 ist eine Zahl x mit 0 < x < 0,005
-0,00 ist eine Zahl x mit -0,005 < x < 0
0,00 ist eine Zahl x mit x = 0
Diese hochwissenschaftliche Sache nennt sich kaufmännisches Runden.
Davon ab ist das ein Scheinargument, da hier am Userinterface rumkritisiert wird - offensichtlich gibt es also nichts anderes mehr was angreifbar ist. Ich wäre da übrigens vorsichtig, da gerade LQFB auch nicht für seine Usability berühmt ist.

"Ergebnis: Niemand - bis auf den Administrator - kann also überprüfen, ob das, was die Software als "Endergebnis" auswirft, stimmt."
Faktisch falsch, alle Werte lassen sich aus der Webseite rausziehen. Was du willst ist eine Dumpfunktion, aber faktisch kommst du schon an alles ran. Nur weil eine Software keine API hat, ist sie noch nicht per se ungeeignet für nicht-API-relevante-Tätigkeiten.

Fazit: Nichts zu sehen, weitergehen.

Abstimmungen: One man - one vote ins Quadrat geteilt durch Anzahl aller abgegeben Stimmen (oder so) +/- Delegations-Fu!?!

Schon die Überschrift... aber es kommt ja dann noch besser:
"Der Liquidizer scheint von seinen Nutzern ein Mathematik-Studium zu verlangen, bevor sie verstehen können, welchen Einfluss ihre Stimmen haben."

Kannst du mir in zwei Sätzen erklären wie in LQFB die Auszählung genau funktioniert? Also wir haben Delegationen auf 3 Ebenen, die wahlweise überschrieben werden können, ein Autoablehnen das eventuell greift, anschließend ein Ranking der Initiativen - aber nur der die auch das Quorum erreicht haben. Aus dem Ranking wird dann ein GrünGrauRot-Balken erstellt, bei dem auch schon mal eine Initiative gewinnt die weniger Grün hat als die zweitplatzierte Initiative. Ja, so in etwa.

"Der Entwicklers des Konzept erklärt dazu:"
Komisch dass mir dazu eine bessere Begründung bekannt ist. Und ich bin jetzt nicht gerade mit dem Liquidizer per Du, und mit dem Team dahinter schon gar nicht. Ich vermute du stellst hier einen Strohmann auf, und zwar mit der angreifbarsten Begründung die du gefunden hast.

Fazit: Deine Aussage kann man also effektiv runterbrechen auf: Wahlsysteme die auf einem komplizierten Algorithmus beruhen - mit einer vom Leser beliebig festzulegenden Schwelle für 'kompliziert' - sind kompliziert. Breaking news.

Delegationen, die keine Delegationen sind

Wie schreibst du selbst, und wie stellte @tarzun eben auf Twitter so treffend fest: Ähm. Beim Liquidizer sind Sockenpuppen direkt erlaubt? http://bit.ly/lMcn5Q Pkt. 4 fordert nur das Einverständnis des abgebenenen Accounts.

Liquidizer erlaubt die weitestgehende aller möglichen Delegationen überhaupt, die Delegation des gesamten Accounts. In LQFB ist das verboten, und führt zur Accountsperrung.

Sogesehen zieht der Liquidizer das Konzept Delegation konsequent und erbarmungslos bis zum Ende durch. Finde ich gut.

(btw: Delegationen im LQFB sind auch keine, da kein Verhältnis zwischen Delegat und Delegand aufgebaut wird, und keine Rechenschaftspflicht entsteht.)

Fazit: Im anderen Sandkasten gibts die größeren Burgen. Ist ja voll scheiße.

Liquidizer macht alle Aktiven zu Trollen

Schon die Überschrift... Eine Behauptung, die durch nichts substanziiert wird. Als Angebliche Quelle für die Aussage steht http://twitter.com/#!/Tur_Bor/status/66061562556850176 nur dort steht nichts davon.

Da dieser Absatz nichts falsifizierbares enthält, ist er auch kein sinnvoller Absatz. (frei nach Popper)

Das alte Missverständnis: Liquid Democracy ist keine Basisdemokratie

Erst schreibst du dass Basisdemokratie ist über alles abzustimmen, und Liquid Democracy die Antithese dessen ist. Dann bemängelst du dass der Liquidizer Leute abwertet, die über alles abstimmen. Ergo bemängelst du dass der Liquidizer Liquid Democracy umsetzt.
Worauf willst du eigentlich hinaus?
Dein Fazit jedenfalls beschäftigt sich wieder mit der Benutzeroberfläche, und kritisiert die Icons.

Fazit: Ähm - keine Ahnung?

Weitere sehr kritische Punkte

- Das System bevorzugt frühe Nutzer
Das System bevorzugt späte Nutzer, da diese ihre Stimme strategisch nutzen können. Sachen die +100 haben, brauchen ihre Zustimmung nicht mehr. Damit wird ihre Stimme im Bezug auf kontroversere Themen stärker.
Ergo bevorzugt das System frühe und späte Nutzer. Na dann passts ja.

- Abstimmungen haben keinen Anfang und Ende
Anfang war gestern. Ende ist vor dem Parteitag. Problem?
Dann kritisierst du die Wortwahl, weil 'spielerisch' im Sinne von spielerisch einfach gemeint war, du es aber im Sinne von 'mangelnder Ernsthaftigkeit' verstehen willst. Damit landest du auf der Argumentationspyramide bei Gelb, und du verlierst die Leser.

- Der nächste Punkt ist eine Benutzeroberflächenkritik

- Der nächste Punkt entspricht dem Delegationsverfall in Liquid-Feedback, nur graduell.

- Der letzte Punkt ist eine Benutzeroberflächenkritik

Fazit: Dir gefällt die Benutzeroberfläche nicht. Gut, da kann ich nichts ändern.

Noch ein Wort zur "Einfachheit" des Liquidizers

Du kritisierst dass der Liquidizer genau seinen Job macht, und nicht mehr. Und dass nur deshalb die Benutzeroberfläche so aufgeräumt ist.
Worauf willst du bitte hinaus?
Ich vermute du willst darauf hinaus dass der Liquidizer kein vollwertiger Liquid Feedback-Ersatz ist. Nur interessiert das aktuell leider keinen, weil es darum gar nicht geht.
"Wer nämlich wirklich mitreden und auch selbst Anträge zur Abstimmung stellen und darüber streiten will," der muss eine kleine Zeitreise rückwärts unternehmen.

Ein Fazit

Du sprichst dem Liquidizer ab, dass er Liquid Democracy umsetzt, und sagst er setzt klassisch direkte Demokratie oder Basisdemokratie um. Und widersprichst damit den von dir oben bereits erwähnten Kriterien. Dafür muss der Liquidizer zurück ans Reißbrett.

Mit der "Datenschutzerklärung" hast du dich nicht befasst, und der juristische Fu ist auch nicht so wichtig. Deshalb endest du dein Fazit dann damit dass du dich fragst warum der Vorstand den Datenschutz so vollständig vernachlässigt. Und Wahlcomputer auch nocheinmal. Dann verniedlichst du die Software noch als nettes Experiment und schließt damit.




Mein Fazit

Not-invented-here-syndrome.