Montag, 21. Oktober 2013

Zur Skalierbarkeit der Schiedsgerichtsbarkeit

Als ich am 29. April 2012 in das Bundesschiedsgericht wiedergewählt wurde, bin ich - naiv wie ich bin - davon ausgegangen dass es grundsätzlich so weiterginge wie bisher: Regelmäßige kurze Telefonkonferenzen, in denen wir ein paar Fälle in Ruhe und mit Bedacht bekaspern können um anschließend eine wohlformulierte Entscheidung zu treffen.
500 Tage später sieht die Geschichte jedoch geringfügig anders aus. Hat das vorherige Bundesschiedsgericht noch eine Rekordzahl von 18 Entscheidungen bearbeitet, lautet diese Zahl für das aktuelle Bundesschiedsgericht aktuell 65, und 9 weitere Verfahren sind noch offen. In Bildern gefasst sieht das so aus:



Nicht erfasst sind Fälle, die wir noch vor der Eröffnung durch persönlichen Einsatz wegschlichten konnten. Und als ob das noch nicht genug wäre haben viele Richter auch noch 'Nebenjobs' in der Partei. Sei das ein Mandat mit zugehörigen abendlichen Ausschusssitzungen oder eine Beauftragung oder einen Listenplatz mit den damit verbundenen Wahlkampfverpflichtungen.

So kann es nicht weitergehen


Unter dem Druck und den neuen Anforderungen hat sich das Schiedsgericht im Laufe des letzten Jahres gewandelt. Statt Fälle auf einer Mailingliste zu sammeln haben wir dank der IT des LV BaWü ein eigenes Ticketsystem bekommen. Post-Eingang und -Ausgang werden über die stets hilfreiche Bundesgeschäftsstelle abgewickelt. Statt alle Fälle vollständig gemeinschaftlich zu bearbeiten setzen wir stark auf die vorbereitende Leistung jeweils eines Berichterstatters. Damit der Berichterstatter seine Arbeit macht, haben wir intern noch einen Zweitkorrektor eingeführt, dessen Aufgabe ist es den Berichterstatter anzuschieben. Auf Sitzungen werden alle Verfahren kurz angesprochen damit nichts untergeht. Als Ergebnis werden die Verfahren dort im Stakkato abgearbeitet. Urteilstexte werden manchmal immer noch gemeinschaftlich in der Sitzung verfasst, aber eigentlich hoffen alle darauf dass der Berichterstatter eine unterschriftsfertige Version vorlegt. Für die Ausfertigung sind wir von der handgestrickten DTP-Variante abgerückt und verwenden jetzt eine selbstentwickelte LaTeX-Vorlage. Kurzum: Wir haben intern das Schiedsgericht schon auf einen höheren Durchsatz optimiert. Nicht ohne Nachteile: Wir können nicht immer alles in der Genauigkeit erforschen und ausformulieren, wie wir es gerne täten. Und die Leute arbeiten sich natürlich ab, und an vielen Stellen macht sich Amtsmüdigkeit bemerkbar.
Im November soll nun also ein neues Bundesschiedsgericht gewählt werden. Wie werden sich die Fallzahlen weiterentwickeln? Zwar kann argumentiert werden, dass ja aktuell alles nur am Wahlkampf liegt - und ja, viele Anrufungen beschäftigen sich mit Kandidatenaufstellungen. Andererseits ist der bisherige Trend in den Verfahrenszahlen streng monotonisch zunehmend. Im nächsten Jahr stehen planmäßig eine Europawahl, drei Landtagswahlen und viel, viel, viel Kommunalzeug an. Jede Menge Streitpotential. Ich glaube nicht dass es auf absehbare Zeit am Bundesschiedsgericht ruhiger wird.

Was tun?


Meine Empfehlung ist es an zwei Stellen anzusetzen: Den administrativen Aufwand und den Personalaufwand reduzieren.
Ersteres ist sehr schnell zusammengefasst: Weniger Papier. Verfahrensbeteiligte bekommen keine von allen Richtern unterschriebene Fassung mehr, sondern nur noch eine elektronische, oder alternativ eine Abschrift. Eine von allen Richtern unterschriebene Fassung wird wie bisher archiviert. Klingt also nicht nach wahnsinnig viel Unterschied, macht aber einiges aus, da das typischerweise an einer Person hängen bleibt.
Die Sache mit dem Personalaufwand läuft auf die Einführung eines Kammersystems hinaus. Aktuell besteht das Bundesschiedsgericht aus (mindestens) 5 Richtern und (mindestens) 2 Ersatzrichtern. Die Idee das Bundesschiedsgericht zu vergrößern machte schon seit ein paar Bundesparteitagen die Runde. Allerdings gab es früher gute Argumente dagegen, nicht zuletzt war die Kandidatensituation nie wirklich wahnsinnig befriedigend. Natürlich, wer will sich schon einen Job ans Bein binden, der viel Arbeit und kaum Anerkennung verspricht. Oder wie ein Pirat es einst beschrieb: Das innerparteiliche Abstellgleis für Altfunktionäre. Typischerweise muss man an Bundesparteitagen geeignete Leute nach vorne zerren, und mit dem was ich eben zum Arbeitsanfall geschrieben habe, wird das nächstes Mal wohl kaum besser werden. Eine Vergrößerung des Bundesschiedsgerichts alleine wird also nicht ausreichen. Davon ab wächst der Selbstverwaltungsaufwand nicht linear mit der Anzahl der Richter im Schiedsgericht: Ein regelmäßiges Treffen mit 10 Richtern zu organisieren ist weit mehr als doppelt so schwer als eines mit 5 Richtern.



Mein Vorschlag ist das Schiedsgericht nur minimal zu vergrößern aber gleichzeitig die Arbeitsgröße durch Aufspaltung in zwei Kammern zu verkleinern. Statt 5 Richtern und 2 Ersatzrichtern würde ich mir 6 Richter und mindestens 2 Ersatzrichter wünschen. Das hätte folgende Effekte:
  • Jeder Richter muss sich nur noch mit (grob) der Hälfte der Fälle befassen.
  • Sitzungen sind kürzer (kleinere Fallzahl) und flexibler (Eine Sitzung pro Kammer, weniger Teilnehmer).
  • Arbeit wird gleichmäßiger auf alle Leute verteilt.
  • Jeder Kammer könnte einer der Ersatzrichter zugeordnet werden, und der andere Ersatzrichter wäre dann Ersatz-Ersatzrichter. Wenn beide Ersatzrichter 'aufgebraucht' sind, bleiben noch alle Richter der jeweils anderen Kammer als Ersatzrichter übrig.
Besonders wichtige Fälle könnten immer noch in der großen Runde bearbeitet werden, wobei dann die Richter entscheiden was 'wichtig' bedeutet. Und Kommunikation oder auch eine Beratung zwischen Kammern ist ebenfalls nicht ausgeschlossen.

Und jetzt?


Im letzten Monat entstand aus den Lehren des letzten Jahres Bundesschiedsgericht, aus einer Vielzahl von Kommentaren und aus Anträgen zu früheren Parteitagen der Satzungsänderungsantrag SÄA002.
Dort ist die angesprochene Formal-Foo-Reduktion enthalten, und ausserdem darf das Bundesschiedsgericht durch Geschäftsordnung ein Kammersystem einführen. Einzige Bedingung ist, dass der Bundesparteitag mindestens 6 Richter wählt.

Wenn das mit dem Kammersystem am Ende ein Riesenreinfall wird, kann das BSG das Experiment durch einfache Geschäftsordnungsänderung wieder beenden. Und sollte es doch funktionieren, dann könnte das (vielleicht etwas schöner ausformuliert) zum Standardmodell auf Bundesebene werden.

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Ach wenn wir doch nur einen Länderrat hätten!

Wunschdenken

Ein Länderrat wäre basisdemokratisch legitimiert. Er sorgt so für eine bessere Anbindung der Bundesebene zur Basis.

Realität

Ob ein Länderrat nun basisdemokratischer (oder legitimierter) ist als der Bundesvorstand. ist bestenfalls zweifelhaft. (triviales Beispiel: Bremer Mitglied hat 35-faches Stimmgewicht gegenüber einem NRW-Mitglied)
Und zur 'Basisnähe' hier ein kleines Quiz. Wie heißt der aktuelle Bundesschatzmeister? Und wie heißen die beiden Vertreter deines Landesverbandes im Finanzrat?


Beleg

Stimmberechtigte Mitgliederzahl pro Landesverband
Liste der Finanzratsmitglieder

Wunschdenken

Ein Länderrat sorgt für eine effektive Kommunikation innerhalb der Partei, und fördert damit das produktive Arbeiten. Da der Länderrat basisdemokratisch legitimiert ist, genießt er das Vertrauen der Basis.

Realität

Der Bundesvorstand ist auch durch die Basis legitimiert. Mit dem Ende des Wahlparteitags endet aber regulär auch die moralische Legitimation, denn ab diesem Zeitpunkt fragen sich die Piraten wer denn eigentlich diese neue Despotentruppe gewählt habe. Piraten misstrauen jeglicher Machtkonzentration. Das gilt schon, wenn die Macht nur ansatzweise vermutet wird. Der Finanzrat wurde (durch eine 2/3-Mehrheit) vom Bundesparteitag damit beauftragt Vorschläge für Satzungsänderungen zu produzieren. Als der Finanzrat dann dieser Aufgabe nachkam, hat der Bundesparteitag den Satzungsänderungsantrag SÄA042 abgelehnt, obwohl sich bei drei verschiedenen Finanzratstreffen jeweils die Mehrheit der Anwesenden für diesen Antrag ausgesprochen haben.

Beleg

SÄA042 (BPT 2012.2)

Wunschdenken

Mit einem Länderrat würde ein klar definierter Kommunikationskanal zwischen Bund und Land etabliert. Länder können ihren Anliegen Gehör verschaffen, sich auf Bundesebene einbringen, und die auf Bundesebene gewonnenen Erkenntnisse zurück in die Länder tragen.

Realität

Das letzte Treffen des Finanzrates war nicht beschlussfähig, da weniger als die Hälfte der Mitglieder anwesend waren. Und das obwohl der Bundesparteitag vor der letzten Sitzung das Beschlussfähigkeitsquorum erst gesenkt hatte. Von insgesamt 7 Treffen des Finanzrats scheiterten 3 vollständig und 1 teilweise an der Beschlussfähigkeit. Das tatsächliche Interesse der Länder an schon existierenden Strukturen, oder aber der Wille zuverlässige Leute in solche zu entsenden, bzw. der Wille der Entsandten sich dort einzubringen scheint also reichlich begrenzt.

Beleg

Protokoll Treffen Finanzrat vom 28.09.2012
Protokoll Treffen Finanzrat vom 25.10.2012
Protokoll Treffen Finanzrat vom 26.02.2013 (ab TOP 3 nicht mehr beschlussfähig)
Änderung der Beschlussfähigkeitsregelung: SÄA017 (BPT 2013.1)
Protokoll Treffen Finanzrat vom 01.07.2013

Und nun?

Für diese Bestandsaufnahme musste ich noch gar keinen konkreten Satzungsänderungsantrag bewerten. Aber falls jemand dazu ein Bedürfnis hat, hier ein super Bewertungsschema: In den meisten Länderräten soll ein Vertreter der JuPis sitzen (oder alternativ ein wilder Umgehungstrick: Ein Bundesparteitag soll ein eigenes Mitglied entsenden, möglichst mit einer unbegründbaren Altersdiskriminierung). Jetzt hat die Partei aber zwei Jugendorganisationen. Also muss schon aus Gleichbehandlungsgründen auch ein Vertreter der zweiten Jugendorganisation rein dürfen. Quintessenz: Wenn ihr mit einem Länderratskonzept, in dem ein(!) Vertreter der grünen Jugend drinsitzt, Bauchschmerzen bekommt (z.B. im verlinkten Vorschlag wegen dem Zugriff auf alle internen BuVo-Materialien, inklusive der internen BuVo-Mailingliste), dann ist das Länderratskonzept grundlegend kaputt.