Samstag, 18. Februar 2012

Wenn 42 nicht die Antwort auf alle Fragen ist

Nun ist es also amtlich: Es gibt eine Gruppe 42, eine radikale, neue Abspaltung der Piratenpartei, ein thematischer Cluster, eine USPD, ein Flügel, ein Kernteam der Kernteams, eine überbewertete AG, eine Machterlangungstruppe, ein Männerbund mit Quotenfrauen, eine Gruppe die nichts vom arabischen Frühling weiß.

Quatsch.

Die Gruppe 42 ist nicht neu. Dazu muss man sich nur die Namen der Erstunterzeichner genauer ansehen. Da sind nicht nur einige Gründungsmitglieder dabei, sondern hauptsächlich Piraten, die bereits 2008, 2009 unterwegs waren, und im Wiki und in der Partei ihre Spuren hinterlassen haben. Genauer: Es sind sogar sehr viele ehemals sehr aktive Piraten dabei, die schon vor geraumer Zeit faktisch oder gedanklich ausgetreten sind, oder zumindest sehr hart an der Grenze waren. Bestenfalls ist die Gruppe 42 ein konservativer Flügel der Piratenpartei.

Hierzu passt, wie ein kurzer Rückblick in den kryptischen Ankündigungen in der Timeline eines prominenten Parteimitglieds offenbart, dass der (Neu-)Gründungsanlass vermutlich im Umfeld des Bundesparteitages 2011.2 zu finden ist. BGE? Aber garantiert.

Nach diesem Bundesparteitag war die Partei angeknackst. Das kann man nicht leugnen. Es war ein kleines Wunder, dass der Parteitagsbeschluss nicht vor dem Schiedsgericht angefochten wurde. Und das obwohl eine mögliche Anfechtung aus Gründen recht aussichtsreich erschien. Dadurch, dass nicht gegen den Parteitagsbeschluss geklagt wurde, wurde ein Riss an dieser Stelle nochmal vermieden. Oder besser: Verlagert. Denn es haben sich immer noch genug Leute durch den Parteitagsbeschluss vor die Stirn geschlagen gefühlt.

Die Gruppe 42 erfüllt damit einen wichtigen Zweck: Dadurch dass sie einen Begriff bietet, unter dem sich all diese Leute sammeln können, und ihre gemeinsamen Interessen formulieren können, kittet sie in einer gewissen Art und Weise den Riss innerhalb der Partei. Dass es überhaupt möglich war diese Leute augenscheinlich zurückzuholen verdient in meinen Augen höchsten Respekt. Ob das Ding jetzt Gruppe 42, Marienkäferkrabbelgruppe, Interessenvereinigung Kernthemen, AG Partei oder Flügel heißt, ist dafür vollkommen egal. Aber dass es den Namen gibt ist relevant. Dieses kuriose Verlangen Dingen Namen zu geben, um Konzepte greifbar zu machen...

Soweit so gut. Ja, ich sympathisiere auch offen mit den Absichten und Zielen der Leute, die hinter dieser Gruppe stehen. Die Themen sind mir selbstverständlich wichtig. Sie sind schließlich der Grund warum ich in diese Partei eingetreten bin. Und ich finde es toll, dass es für viele Leute wichtig ist, sich wieder auf diese Kernthemen zu besinnen. Und wenn mich vorher jemand gefragt hätte - ich stände wahrscheinlich auch auf der Liste.

Aber heute bin ich froh, dass ich nicht auf der Liste stehe. Und ich will auch nicht mehr auf dieser Liste stehen. Denn die Gruppe 42 hat sich für mich gleich zu Beginn verbrannt.

Damit meine ich witzigerweise nicht die Ankündigung im in der Welt erschienenen Artikel, dass zwei prominente Ex-Bundesvorstandsmitglieder gerne ein Mandat hätten. Überrascht mich nicht, schockiert mich nicht, macht mir nichts aus. Dass die Gruppe 42 von Beginn an für eine Profilierung von bestimmten Piraten herhalten musste, ist unglücklich. Aber selbst das kann ich noch verstehen, schließlich wollen Medien auch einen Neuigkeitswert. Und - seien wir ehrlich - die Meldung "Piraten gründen Arbeitskreis" ist keine. Die Neugründung der AG Männer hat kein Schwein interessiert. Also braucht man Aufhänger. Personen sind Aufhänger. Zwei Parteipromis - wunderbar: Die Zeitung ist glücklich.

Der zweite Aufhänger aber kam nicht von der Zeitung. Der zweite Aufhänger kam von der Gruppe selbst:
"Die Gründung der Gruppe ist eine Kritik an der derzeitigen Struktur der Partei. (..) Die Neugründung zeige die Schwäche des Organs Bundesvorstand. Die derzeitige Parteispitze wisse (..) nichts von der Gründung."
Seht her, wir machen einen Putsch! Wir handeln gegen die Parteiführung. Ohne deren Wissen. Hurra - der Wert der Meldung hat sich eben verfünffacht. Die Zeitung ist überglücklich. (Der Welt ist nur das Wort Meuterei nicht eingefallen. Kommt sicher irgendwo die Tage in irgendnem Folgeartikel)

Und ist noch jemandem aufgefallen, dass hier für mich in lediglich zwei Sätzen der gesamte Sinn der AG 42 auf dem Altar der Selbstdarstellung geopfert wird?

Einmal ist eine geheime Gründung einer Interessensgruppe in der Partei, auch wenn sie noch so sinnvoll ist um erstmal 3 Monate ungestört arbeiten zu können, auch wenn die Interessensgruppe dafür steht  Transparenz und Mitbestimmung zu verlangen (Punkt VI der Erklärung) - gerade dann - nicht so einfach zu rechtfertigen. Zu schreiben "Das Internet ermöglicht Partizipation statt bloßen Konsum", aber dann eine fertige Gruppe inklusive Erklärungsdokument zum Konsum/zur Unterzeichnung hinzuwerfen - das ist dann doch mehr als nur eine vertane Chance. Die Formierung ist ja nicht nur 'aus Versehen' nicht öffentlich gewesen. Wir reden auch nicht von einem gut- oder böswilligen Vogonismus. Und spätestens seit dem Zitat in der WELT auch nicht mehr von einem in-Kauf-nehmen. Sondern von Absicht. Das ist für mich - leider - ein Bruch mit den eigenen Zielen.


Der zweite Punkt wiegt für mich schwerer. So löblich die Absichten gewesen sein mögen, die zur Gründung der Gruppe 42 führten, so sinnvoll, nötig und essentiell wichtig eine integrierende Gruppierung dieser Art in der Partei auch sein mag: Nichts rechtfertigt die Reparatur eines Risses in der Partei an einer Stelle mit dem Eintreiben eines Keils an anderer Stelle. Und das ist hier passiert: Einen Keil zwischen Bundesvorstand und Basis zu treiben - oder auch nur zwischen der Gruppe und dem Bundesvorstand - das ist einfach unnötig. Klar, super: Gemeinsame Feinde bestärken die Freundschaft und sorgen für stärkeren Zusammenhalt - alte Sandkastenregel. Der Zweck darf aber niemals die Mittel heiligen. Die Mittel müssen den Zweck heiligen! Zumindest dachte ich, dass dies eine der klassischen Grundprinzipien der Piratenpartei wäre.

Ein solches Verhalten, gerade aus dieser Gruppe, gerade von Leuten von denen ich persönlich die intellektuelle Kapazität erwartet habe dies zu verstehen, erschreckt und verstört mich. Ich muss davon ausgehen, dass hier - mal wieder - eine Plattform von wenigen, oder einzelnen im Raubbau genutzt wurde, um die eigenen Ziele, in diesem Fall maximale mediale Aufmerksamkeit für sich selbst, zu erreichen. Denn wäre dem nicht so, würde die Gruppe 42 gesammelt hinter einem "Wir gründen uns geheim, um unsere Macht (?) zu demonstrieren, und den Bundesvorstand blöd vorzuführen"-Motiv stehen, dann müsste ich für mich die Partei an einem zentralen Punkt als gescheitert ansehen. Ich könnte sie zwar immer noch wählen - hey, alle Tage besser als der Rest -  aber ein Engagement innerhalb der Partei könnte ich vor mir nicht mehr begründen. Die Alternative wäre darauf zu hoffen, dass die Gruppe 42 in der Partei niemals irgendwo relevant wird. Was aufgrund der expliziten Zielsetzung der Gruppe ebenfalls auf einen Rückzug herauslaufen würde.

Bis dahin kann ich zwar die erklärten Ziele der Gruppe 42 für gut heißen, die Methoden aber nicht. Und deshalb kann und werde ich meinen Namen da nicht drunter setzen.

Montag, 6. Februar 2012

Zugriff auf Mitgliederlisten im Verein

Aktuell sorgt ein Urteil des LG Köln für etwas Unruhe: Mitglieder in einem Verein haben dort den Zugriff auf die Mitgliederlisten des 1. FC Köln erstritten. Eine Gruppe von Vereinsmitgliedern wollte eine Satzungsänderung herbeiführen, und hat dafür vom Verein
Vor- und Nachnamen, Straße, Hausnummer, Postleitzahl und Wohnort sowie (soweit bekannt) die E-Mailadresse.
der Mitglieder verlangt.

Das LG Köln hat dem jetzt zugestimmt, denn
Nach Meinung der Kölner Richter steht dem Kläger ein Anspruch auf Herausgabe der Mitgliederliste zu, wenn und soweit er ein berechtigtes Interesse im Sinne der vereinspolitischen Ziele darlegen kann und diesem Begehren keine überwiegenden Interessen des Vereins oder der betroffenen Vereinsmitglieder entgegenstehen.

Alles in allem ein spektakuläres Urteil.

Wenn es denn nicht ein ziemlicher alter Hut wäre. Schon 2009 hat das OLG Hamburg (6 U 38/08) beschlossen, dass ein Verbraucherschutzverein eine Mitgliederliste an einen Treuhänder herauszugeben hat, über den dann die Mitglieder alle anderen Mitglieder kontaktieren können. Der Treuhänder soll nur dafür sorgen, dass nur Mitglieder angeschrieben werden, die dem nicht explizit widersprochen haben, und dass kein unzulässiger Inhalt (aka Werbung, vereinsfremde Sachen) verschickt wird. Die Mitgliederlisten sind sogar ausserhalb eines Minderheitenbegehrens nach §37 BGB herauszugeben. Vom OLG Hamburg lief das dann zum BGH, und wurde dort 2010 bestätigt (II ZR 219/09).

Was heißt das nun für eine Partei? Erstmal noch nichts. Keine der beiden Urteile haben etwas mit einer politischen Partei zu tun. Da liegt die ganze Sache nochmal minimal komplizierter, die Gründe sind am Ende des Datenschutz-Praxis-Artikels sogar ausgeführt: Politische Überzeugungen, dazu zählt auch eine Parteimitgliedschaft, sind besonders geschützt.
Der BGH stellt aber fest, dass anonyme Vereinsmitglieder der Weitergabe (und dem Empfang von solchen Anschreiben, s.o.) widersprechen können. Zumindest das dürfte auf jeden Fall auch für politische Parteien anwendbar sein.

(siehe dazu auch: Anm H. Wolfer, GWR 2010, 599)

Sonntag, 29. Januar 2012

Piratenwiki - Früher und Heute

Zitate sind von http://wiki.piratenpartei.de/Piratenwiki:Geschützte_Seiten:

Früher:
Administratoren können Benutzer sperren oder Seiten schützen.
Man könnte prinzipiell alles sperren aber jeder Seite einen Hausmeister geben, der nur darf (das wollen die LVs, die IT, die Juristen etc) dann haben wir kein Wiki mehr sondern eine große Website.
Heute:
AG_Orange_Hilfe, AG Recht 1, AG Recht 2, Rechtsabteilung (erkennt wer ein Muster?) und das demnächst nicht mehr existente Website-Team haben je einen Hausmeister mit schützender Hand.

Früher:
Handelt es sich um einen Edit-War um einen speziellen Artikel, in dem beide oder alle Parteien keinen Konsenswillen zeigen, kann der betroffene Artikel auch gesperrt werden. Aber nur solange keine "friedlichen" Mitschreiber abgehalten werden. Ansonsten muss jeder der Krieg führenden Nutzer einzeln gesperrt werden.
Heute:
Wenn eine AG an ihrer eigenen Seite Änderungen machen will (24.01.-25.01.), die aber dem Wikiseitenblockwarten nicht gefällt, dann wird der Artikel gelöscht und gesperrt, auch wenn gegen den Blockwart 7 "friedliche Mitschreiber" stehen.

Früher:
Benutzer können gesperrt werden wenn diese erkennbar: * vandalieren (also z.B. kommentarlos Dinge löschen oder SPAM verbreiten.)
Heute:
Solange es ein Admin macht, oder es von einem Admin sanktioniert ist passiert nichts. Nein, es ist nichtmal Vandalismus. Wenn ein nicht-Admin hingegen seine Wikiseiten von Trollerei freihält, dann wird erwogen den nicht-Admin zu sperren.

Früher:
Die Sperr- oder Schutzzeit kann je nach Heftigkeit angepasst werden und sollte immer eher moderat begonnen werden. Die Sperrdauer ist der Tätigkeitsfrequenz anzupassen. Baut ein User gerade seinen Frust ab, genügen 30 Minuten. Vandaliert er aber partiell und würde eine 6 Stundensperre über Nacht gar nicht mitbekommen, können das auch mal 3 Tage sein.
Heute:
Bei Rainer Klute soll, was man so von der Wiki-Admin-ML vernimmt, die Sperrung immerhin nicht permanent sein (wie gnädig) sondern es wird lediglich ein Zeitraum von 4 Wochen diskutiert. Ist doch auch nett.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Die BILD in jedem Briefkasten

Des Deutschen liebste Zeitschrift - die BILD - möchte angeblich jedem Haushalt eine BILD vor die Tür werfen.

Die deutsche Lieblingsprofession - die Juristerei - empfiehlt jedem Haushalt die BILD vorab darüber zu informieren, dass sie keine BILD haben möchte. Und wenn dann doch eine BILD vor der Haustür landet, dann könne man ja die BILD auf Unterlassung verklagen. In Anlehnung an die größten Massenpetitionen, die größten Verfassungsklagen, usw. wird so die größte Unterlassungsklagenwelle vorhergesagt bzw. herbeigewünscht.

Dass die Aktion der BILD noch nichtmal bestätigt ist - interessiert keine Sau.
Dass jedes "Ich will die BILD nicht"-Schreiben der BILD deine Adressdaten frei Haus liefert - geschenkt. Die BILD steht nämlich für Integrität und Zuverlässigkeit, und würde (bestätigte) Adressdaten niemals weiterverkaufen.
Und im besten Falle (Schreiben versandt, kein Adressdatenhandel, Einwurf der BILD) erwirbt man dann endlich die Möglichkeit auf Unterlassung zu klagen. Hurra.

Ihr wisst schon, dass mit so einer Klage Kosten verbunden sind? Die vom Kläger erstmal vorzuschießen sind? Und dass eben nicht garantiert ist, dass ihr die am Ende auch wieder vollständig erstattet bekommt? Schön, wenn ihr eine Rechtsschutzversicherung habt, die dann die Kosten trägt. Eventuell. Denn auch eine Rechtsschutzversicherung wird wenig Eigeninteresse daran haben, hier einen Rettungsschirm zu finanzieren.

Denn nichts anderes ist das hier: Ein Rettungsschirm für die notleidende Juristenprofession. Die einzigen, die daran verdienen sind die Anwälte.

Der Kleinspießbürger freut sich, es 'der BILD' reinwürgen zu können. Er übersieht aber, dass es für die BILD keinen Unterschied macht. (Die BILD hat ja sooo viel Angst vor Klagen, weshalb sie immer nur ganz vorsichtig publiziert) Die Gerichte werden geDoSt. Der Anwalt schreibt Schreiben.

Die Aktion selbst? Voller Erfolg. Ohne auch nur eine einzige BILD irgendwo einzuwerfen, geschweige denn zu drucken, ist es aktuell nicht mehr möglich Twitter oder Blogs aufzumachen, ohne von der BILD zu lesen. Ich bin keinen Deut besser: Wer bis hierhin gelesen hat, stolperte 16 Mal über den Namen.

Wie hätte man es besser machen können: Wenn die BILD vor der Tür liegt, sie dem Recycling zuführen. Der Shitstorm wäre von selbst entstanden, und hätte in die richtige Richtung gezeigt.

Stattdessen bleibt alles wie es ist: Jeder liest irgendwo BILD und jeder tut so als ob er drüber stehen würde - und heimlich macht man eben doch Werbung für sie. Habt ihr toll gemacht, bin stolz auf euch.

Mittwoch, 28. September 2011

Die Erfolge der FDP

Angesichts fallender Umfrageergebnisse, sinkender Moral bei den verbliebenen Restwählern und in den eigenen Reihen muss die FDP dringend ihre Leute wieder zusammensammeln und aufbauen. Um das Selbstvertrauen zu stärken, bietet es sich an, eine Halbzeitbilanz der aktuellen Bundesregierung zu ziehen. (Obwohl die Frage, ob man die Halbzeit nicht schon längst überschritten habe, angesichts der Koalitionsstabilität gerechtfertigt ist.)

Die FDP Bayern verbreitete daher heute frohe Kunde:



Das schaue ich mir natürlich gerne an. Ein kurzer Blick in die Halbzeitbilanz, und ich bleibe auf Seite 7 hängen:


Man liest "haben wir die Neuverschuldung um mehr als 50% gegenüber dem Plan des ehemaligen SPD-Finanzministers Peer Steinbrück reduziert". In meinem Kopf bildet sich ein kleines Fragezeichen. Rein sprachlich finde ich die Formulierung "um mehr als 50% reduziert" merkwürdig. Erst auf den zweiten Blick sehe ich "(..) die Neuverschuldung 2012 (..)". Liebe FDP: Wenn einer der größten Erfolge (ist schließlich nach "Stabilisierung des Euro" der zweite Punkt in eurer Broschüre - und wir wissen alle wie gut ihr das aktuell hinbekommt) eurer bisherigen Regierungszeit ist, eine hypothetische Prognose, abgegeben vor Eurokrise und Bankenbailout, durch eine andere, noch unrealistischere Prognose zu ersetzen - dann fehlen mir ehrlich gesagt echt die Worte. Dann solltet ihr darüber nachdenken ob ihr die 2% bundesweite Wahlprognose überhaupt verdient habt.

Da hilft nur energisches umblättern. Doch schon auf Seite 9 habt ihr den Kontakt zur Realität vollends verloren:


Hier ist nun alles falsch, was nur falsch sein kann. Ersteinmal stellt ihr zukünftige Ergebnisse bereits als Realität hin. Für 2011, 2012 und 2013 gibt es (wie auch) keine gesicherten Zahlen. Ihr erweckt aber dank Überschrift und Legende der Statistik sowie im Fließtext den Anschein, dass hier nicht zwei Prognosen miteinander konkurrieren, sondern ihr in der die Realität irgendetwas erreicht habt. Im Text schreibt ihr sogar "Die Neuverschuldung haben wir (..) halbiert".

Wenn in der Statistik schon so viel hingeschummelt ist, dann möchte man es doch auch genauer wissen. Zufällig gibt es im Internet auch Informationen über die tatsächliche Staatsneuverschuldung 2010. Insbesondere aus einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes geht aus dem 3. Absatz hervor: "Beim Bund erhöhten sich die Schulden am 31. Dezember 2010 gegenüber dem 31. Dezember 2009 um 21,9% (+ 230,3 Milliarden Euro) auf rund 1 284,1 Milliarden Euro."

Ich darf dann mal eure Broschüre korrigieren:


Herzlichen Glückwunsch, liebe FDP. Ihr habt nicht nur erfundene Zahlen beschönigt, sondern auch bestehende Zahlen gefälscht. Ob es euch hilft, euch irgendwelche Erfolge selbst vorzulügen, sei dahingestellt. Ich wünsche euch für die Zukunft viel Glück, und für die nächsten Bundestagswahlen bekommt ihr hoffentlich so wenige Stimmen, dass ihr aus der Parteienfinanzierung rausfallt. Denn Geld kann man euch nicht anvertrauen.

Samstag, 24. September 2011

Zum Ethikurteil

Der Humanistische Pressedienst schreibt zu einem Urteil des VG Freiburg, und Twitter schreit Zeter und Mordio.

Was ist passiert?

An einer Freiburger Grundschule forderte eine Mutter die Einrichtung eines Ethikunterrichts für ihre zwei Söhne. Am Religionsunterricht nahmen die Kinder nicht teil. Zeitweise war eine Philosophie-AG an der Schule eingerichtet worden, für den die Eltern der Teilnehmer einen Betrag von 120 Euro pro Schuljahr bezahlen mussten. Die Klägerin war der Auffassung, dass für einen Ethikunterricht zur ethisch-moralischen Bildung ihrer Kinder ein verfassungsrechtlicher Anspruch existiert. Dieser müsste im Verhältnis zum Religionsunterricht in gleichberechtigter Weise für Kinder konfessionsfreier Eltern gewährleistet werden, damit die Heranwachsenden pädagogisch nicht benachteiligt werden. Das Ministerium lehnte die Forderung ab. Mitte April wurde dagegen Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg eingereicht, die vor selbigen nun abgelehnt wurde. (Quelle: hpd, ergänzt, umformuliert & gekürzt)

Und warum geht die Welt jetzt nicht unter?

Zunächst: Die Klage basiert, soweit erkennbar, auf verfassungsrechtlichen Ansprüchen. Die ja so oft zitierten Grundrechte sind aber primär Abwehrrechte gegen den Staat, und keine Anspruchsgrundlagen gegen den Staat. Der Art 5 I 1 GG sagt z.B. dass du deine Meinung äussern darfst, aber:
Allerdings sind hier von allem Anfang an einige fundamentale Einschränkungen zu machen: Art. 5 I Satz 1 gewährleistet zwar das Recht, „sich hören zu lassen“, d.h. er verhindert es, daß der Staat den seine Meinung äußernden Einzelnen von seinem Auditorium abschneidet, aber er gibt diesem Einzelnen nicht etwa ein Recht darauf, von jedermann oder auch nur von bestimmten Einzelpersonen gehört zu werden. (..) Der Staat ist durch Art. 5 I Satz 1 auch nicht verpflichtet, demjenigen, der sich hören lassen will, ein Auditorium zu schaffen; insoweit ist Art. 5 I Satz 1 ein bloßes Abwehrrecht im klassischen Sinne. -- Maunz/Dürig, GG 62.EL, Art 5 Rn 60f

Es ist nicht unmöglich auf Basis der Verfassung Anspruchsgrundlagen zu formulieren, aber es ist auch nicht so einfach. Aus gutem Grund. Einer der möglichen Anspruchsgrundlagen ist, wie hier auch angeführt, zum Beispiel Art 3 GG, der Gleichberechtigungsgrundsatz. Dazu bräuchte man eine ungerechtfertigte Benachteiligung, z.B. fehlenden Zugang zu der ethisch-moralischen Bildung innerhalb des Religionsunterrichts, dessen Besuch ja mit einem unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit verbunden wäre. Insoweit stimmt die Logik der Klägerin.

Was stellt jetzt aber das Gericht fest?
Vorher werde, so meinten die Richter, die „moralisch-ethische Orientierung fächerübergreifend geleistet“ und sie verwiesen unter anderem auf den Geschichts-, Biologie- und Deutschunterricht. „Hinzu kommt, dass ethische Werte und Grundsätze auch im Rahmen des sozialen Miteinanders innerhalb des Klassenverbands vermittelt werden.
 „Gegenstand des Religionsunterrichts ist der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe.“ Für Erziehungsberechtigte, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, sei daraus kein Anspruch auf einen Ethikuntericht für ihre die Grundschule besuchenden Kinder geltend zu machen.
(Quelle: hpd, gekürzt)

Das Gericht sagt euch also ins Gesicht, dass der Religionsunterricht kein relevanter Teil der ethisch-moralischen Bildung in der Schule ist. Stattdessen geht es um die Vermittlung der Glaubenssätze als Wahrheit. Und Humanisten regen sich jetzt über diese Erkenntnis auf?

Ihr habt jetzt von einem Gericht gehört, dass der Religionsunterricht ethisch-moralisch irrelevant ist. Was bitte wollt ihr mehr? Wenn der Religionsunterricht kein relevanter Teil der ethisch-moralischen Bildung ist, dann gibt es auch keinen fehlenden Zugang zur ethisch-moralischen Bildung, keine Ungleichbehandlung und damit natürlich auch keine Anspruchsgrundlage.

Wenn ihr jetzt aus dem nicht-hingehen zum Religionsunterricht aus nicht-religiösen Gründen ein Recht auf einen Alternativunterricht herausklagen wollt:
Guten Tag mein lieber VGH Bawü. Meine Söhne dürfen aus nicht-religiösen Gründen nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Aber damit werden sie von ihrem Recht beschnitten, eine ethisch-moralische Ausbildung zu erhalten. Der restliche Unterricht ist ganz niedlich, aber er enthält ja diese Wertvorstellungen nicht, deshalb haben meine Söhne Anrecht auf einen Ethikunterricht, der die korrekten Lehrinhalte enthält. (Quelle: Folgeklage am VGH)

Dann seid euch bitte im Klaren, dass als nächstes der nette Herr Kreationist ums Eck biegt, und sagt:
Guten Tag mein liebes VG Freiburg. Mein Sohn darf aus religiösen Gründen nicht am Biologieunterricht teilnehmen. Aber damit wird er von seinem Recht beschnitten, zu erfahren, dass Gott vor 6000 Jahren die ganzen Fossilien in der Erde versteckt hat, um die heutigen Biologen zu foppen. Der Religionsunterricht ist ganz niedlich, aber er enthält ja diese Wertvorstellungen nicht, deshalb hat mein Sohn Anrecht auf einen Kreationismusunterricht, der die korrekte biologische Lehre vertritt. Und übrigens gibts da dieses Urteil vom VGH, ... (Quelle: Netter Kreationist)

Nachtrag: "Das VG sagt der Religionsunterricht ist verfassungsrechtlich privilegiert. WTF?" (Quelle: Twitter)

Ja. Und da hat es recht. Das ist eine reine faktische Aussage. Und da kann auch der VGH nichts dran reißen. Und das BVerfG genausowenig. Wenn dich das ankäst, dann musst du nicht über Gerichte lästern, sondern das Grundgesetz ändern. Ich empfehle vor der Ausarbeitung eines entsprechenden Programmvorschlags für deine Lieblingspartei die Lektüre eines einschlägigen Grundgesetzkommentars zu Artikel 7.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Antwort der Universität

Ich denke das kann man nahezu unkommentiert stehen lassen. Aus dem E-Mail-Header schließe ich dass sich insgesamt 7 Studenten bei der Uni gemeldet haben.

Dear all,

Many thanks for your recent communication over Jorgo Chatzimarkis and his comments on Anne Will.

We have looked at the coverage and also sought advice from the British Council in Germany.

No German media have come to us directly for a statement and we have concluded that at the present time we do not need to issue one in Germany unless and until asked. This is because

a) It seems clear that his credibility is low

b) A proactive intervention from us may simply draw more attention to the issue

c) Most of the coverage of his Anne Will remarks has included remarks by Oxford students and alumni contradicting his claim about Oxford practices.

The Guardian in the UK has phoned about this and I made it clear that Oxford expects its students to follow standard academic practice in quoting sources.

With thanks and best wishes
Ruth Collier
Head of Press and Information Office
University of Oxford
www.ox.ac.uk/news

Einziger Kommentar: Die "der ist eh nicht glaubwürdig"-Punchline gefällt mir selbstverständlich. Und dass der Guardian sich das anschaut ebenfalls.


Nachtrag: Der Guardian berichtet nun auch. Wenn auch mit einem nervigen Druckfehler der es morgen wohl auch in die Printausgabe schaffen wird.