Dienstag, 6. Juli 2010

Von unfähigen Vorständen und solchen, die es werden wollen

Im Landesverband Rheinland-Pfalz begab es sich dass nach Unstimmigkeiten — der Transparenz halber sei gesagt dass ich an diesen nicht vollständig unbeteiligt war, aber das ist ein anderes Thema und soll hier nicht behandelt werden — die Landesvorstandsvorsitzende ihren Rücktritt erklärt hat. Und so ist es wieder einmal Zeit für eine neue Folge im Piraten-Juraseminar.

Der Rücktritt

Prinzipiell darf jeder Inhaber eines Amtes, gerade auch Inhaber eines Ehrenamtes, den Rücktritt erklären. Der Rücktritt ist im Vereinsrecht relativ einfach gehandhabt: Ein ehrenamtlich tätiges Vorstandsmitglied kann sein Amt jederzeit niederlegen (mit Ausnahmen, hier aber ohne Belang). Der Rücktritt ist eine höchsteigene Angelegenheit jedes einzelnen Vorstandsmitglieds. Das bedeutet auch dass das einzelne Vorstandsmitglied zum Beispiel an einen Rücktritt des gesamten Vorstands durch Vorstandsbeschluss nicht gebunden ist. Ein Rücktritt vom Rücktritt ist übrigens nicht möglich (OLG Hamburg JDR 24 zu §27 BGB).

Die Handlungsunfähigkeit

Bei jedem Rücktritt wird der Vorstand bis zur nächsten Wahl verkleinert. Die Beschlussfähigkeit des Vorstands kann darunter generell leiden. Das BGB selbst gibt nur die explizite Vorgabe dass ein Vorstand aus mindestens einer Person bestehen muss. (§26 II 1 1.HS BGB) Das Parteiengesetz gibt etwas spezieller die Vorgabe dass ein Vorstand aus mindestens drei Personen bestehen muss (§11 I 2 PartG). Ob die drei nun zum Zeitpunkt der Wahl oder der Vorstand jederzeit aus mindestens drei Personen bestehen muss ist unklar. (Weder Ipsen §11 Rn 3 noch Rixen §11 Rn 6 gehen darauf ein) Die Beschlussfassung in einem mehrköpfigen Vorstand richtet sich -sofern nicht gesondert geregelt- nach der üblichen Regel 'Mehr Ja- als Nein-Stimmen', und ist unabhängig von der Größe des Restvorstands. In den Satzungen der Piraten steht klassischerweise eine weitere, explizite Handlungsunfähigkeitsregelung die beispielsweise verhindern soll dass jemand vom Schlag eines Aaron K. einen Bundesvorstand alleine weiterführt wenn der Rest gemeinschaftlich zurückgetreten ist. Ausserdem werden manchmal einzelne Posten besonders privilegiert: Rücktritte des Vorstandsvorsitzenden (Galeonsfigur), des Schatzmeisters (Rechenkünstler) und des Generalsekretärs (Papierschubse) führen ebenfalls meist zur Handlungsunfähigkeit.

Nun ist aber zu unterscheiden in der Handlungsunfähigkeit kraft Gesetz (Klar: Kein Vorstandsmitglied mehr übrig, strittig: Weniger als 3 Vorstandsmitglieder) und der Handlungsunfähigkeit nach Satzung. Ersteres führt dazu dass die verbleibenden Vorstandsmitglieder nun faktisch keinerlei Beschlüsse mehr als Vorstand fassen können. Letzteres führt dazu dass faktisch Beschlüsse weiterhin gefasst werden dürfen, aber durch die Satzung für nichtig erklärt werden. Der Unterschied? Bei Unfähigkeit kraft Satzung kann die Satzung Ausnahmen vorsehen.
Und so steht in der RLP-Satzung als Folge der Handlungsunfähigkeit: "Der restliche LVOR ernennt bis zur Neuwahl des Vorstands zur Weiterführung der Geschäfte eine kommissarische Vertretung." (§4.2 XV 4 RLPSatzg). Da der Vorstand nicht mehr selbst handeln darf (nicht: kann) soll er sich Vertreter bestimmen, die dann für ihn handeln.

Der Standardlösungsweg ist natürlich der, dass die kommissarische Vertretung aus dem Restvorstand selbst zuzüglich eventueller andere kompetenten Leute für den ausgefallenen Schatzmeister oder Gensek besteht. So wurde dies beispielsweise auch im Bezirksverband Oberfranken gehandhabt. Im Bezirksverband Schwaben gab es eine andere Regelung, dort übernahm der Landesverbandsvorstand kurzfristig die Geschäfte und delegierte sie zurück an die verbleibenden Vorstandsmitglieder.

Was passiert nun aber wenn die gesetzliche Handlungsunfähigkeit eintritt? Dann kann der Vorstand keine Beschlüsse mehr fassen, den Verband nicht mehr vertreten. Damit kann er auch keine Vertretung mehr ernennen, denn die Satzung kann sich nicht über geltendes Recht hinwegsetzen. Nun kam sehr schnell die Idee auf dass der Bundesvorstand dann die Geschäfte übernimmt. Das ist vollständig und mit Nachdruck abzulehnen. Erstens kann der Bundesvorstand nicht ohne satzungsmäßige Grundlage (und zwar in der RLP-Satzung) einen LPT RLP einberufen. Da es diese Grundlage nicht gibt wäre das zweitens ein ungerechtfertigter Eingriff in die Verbandsautonomie, ist also auch systematisch strikt abzulehnen. Drittens wäre die einzige Folge eine unwirksame Einladung. Sprich: Das bringt niemanden weiter.
Wie kommt man aus diesem Szenario raus? Der Gesetzgeber hat diesen Ausnahmefall natürlich vorgesehen, und man (=jedes Verbandsmitglied, sinnvoll natürlich irgendwelche Ex-Vorstände) kann vom Amtsgericht einen Notvorstand nach §29 BGB bestellen lassen. Die Parteischiedsgerichte sind dazu nicht befugt. (Rixen §14 Rn 18, auch §11 Rn 6, Ipsen §11 Rn 4)

Fazit

Da im Landesverband Rheinland-Pfalz meines Wissens 5 von 7 Mitgliedern im Vorstand verbleiben, liegt zwar die satzungsmäßige Handlungsunfähigkeit vor, aber keine gesetzliche Handlungsunfähigkeit. Die Lösung des Dilemmas ist also ganz klar sich eine Vertretung zu ernennen und von diesem den nächsten, ausserordentlichen LPT einberufen zu lassen. Beides ist nach Satzung nicht nur möglich sondern verpflichtend. (Tip: Schnellstmöglich ist übrigens nicht 'sofort')
Die Verbandsautonomie sollte hochgehalten werden, deshalb wäre ein Beschluss des Bundesvorstands zu diesem Thema generell kein gutes Zeichen. Weiter ist der (Rest-)Vorstand des LV RLP auch weiterhin als solcher zu bezeichnen, auch wenn er nach Satzung handlungsunfähig ist. Daraus ergibt sich beispielsweise weiterhin ein Antragsrecht beim Bundesvorstand.

Bei der Ladung sollte aufgepasst werden. Der LPT RLP kann m.E. nicht mehr vom Vorstand eingeladen werden, sondern das muss von der kommissarischen Vertretung gemacht werden, da die Ladung eine Weiterführung der Geschäfte darstellt. Alles andere wäre ein Ladungsfehler der die Legitimität des gesamten LPT untergräbt, damit dessen Beschlüsse inklusive Wahlen ungültig macht.

Und alle anderen Verbände, vom Ort bis zum Bund, sollten sich die Regelung in ihrer Satzung genauer anschauen. Insbesondere die Folgen einer gesetzlichen Handlungsunfähigkeit sollten geprüft werden. Die Regelung "der Restvorstand beschließt..." ist irreführend und nicht immer anwendbar, von daher gefährlich und sollte gestrichen werden. Sinnvoller ist meiner Meinung nach die Regelung dass der dienstälteste untergeordnete Verband, oder so keiner vorhanden, der nächsthöhere Verband die Geschäfte bis zu einem von ihm einberufenen ausserordentlichen Parteitag weiterzuführen hat. Dank der Inhaltsfreiheit ist so eine Gestaltung in der Satzung möglich.
Bei der Gelegenheit sollte gleich eine eventuelle Sonderregelung für Vorsitzende, Schatzmeister u.dgl. überdacht werden. Im Zweifelsfall wird damit nämlich ein Super-Veto-Recht eingeführt, das aus prinzipiellen Gründen abzulehnen ist.