Der
Humanistische Pressedienst schreibt zu einem Urteil des VG Freiburg, und Twitter schreit Zeter und Mordio.
Was ist passiert?
An einer Freiburger
Grundschule forderte eine Mutter die Einrichtung eines Ethikunterrichts
für ihre zwei Söhne. Am Religionsunterricht nahmen die Kinder nicht
teil. Zeitweise war eine Philosophie-AG an der Schule eingerichtet
worden, für den die Eltern der Teilnehmer einen Betrag von 120 Euro pro
Schuljahr bezahlen mussten. Die Klägerin war der Auffassung, dass für
einen Ethikunterricht zur ethisch-moralischen Bildung ihrer Kinder ein
verfassungsrechtlicher Anspruch existiert. Dieser müsste im Verhältnis
zum Religionsunterricht in gleichberechtigter Weise für Kinder
konfessionsfreier Eltern gewährleistet werden, damit die Heranwachsenden
pädagogisch nicht benachteiligt werden. Das Ministerium lehnte die
Forderung ab. Mitte April wurde dagegen Klage beim Verwaltungsgericht
Freiburg eingereicht, die vor selbigen nun abgelehnt wurde. (Quelle:
hpd, ergänzt, umformuliert & gekürzt)
Und warum geht die Welt jetzt nicht unter?
Zunächst:
Die Klage basiert, soweit erkennbar, auf verfassungsrechtlichen
Ansprüchen. Die ja so oft zitierten Grundrechte sind aber primär
Abwehrrechte gegen den Staat, und keine Anspruchsgrundlagen gegen den
Staat. Der
Art 5 I 1 GG sagt z.B. dass du deine Meinung äussern darfst, aber:
Allerdings sind hier von
allem Anfang an einige fundamentale Einschränkungen zu machen: Art. 5 I
Satz 1 gewährleistet zwar das Recht, „sich hören zu lassen“, d.h. er
verhindert es, daß der Staat den seine Meinung äußernden Einzelnen von
seinem Auditorium abschneidet, aber er gibt diesem Einzelnen nicht etwa
ein Recht darauf, von jedermann oder auch nur von bestimmten
Einzelpersonen gehört zu werden. (..) Der Staat ist durch Art. 5 I Satz 1
auch nicht verpflichtet, demjenigen, der sich hören lassen will, ein
Auditorium zu schaffen; insoweit ist Art. 5 I Satz 1 ein bloßes
Abwehrrecht im klassischen Sinne. -- Maunz/Dürig, GG 62.EL, Art 5 Rn 60f
Es ist nicht unmöglich auf
Basis der Verfassung Anspruchsgrundlagen zu formulieren, aber es ist
auch nicht so einfach. Aus gutem Grund.
Einer der möglichen Anspruchsgrundlagen ist, wie hier auch angeführt, zum Beispiel
Art 3 GG, der Gleichberechtigungsgrundsatz.
Dazu
bräuchte man eine ungerechtfertigte Benachteiligung, z.B. fehlenden
Zugang zu der ethisch-moralischen Bildung innerhalb des
Religionsunterrichts, dessen Besuch ja mit einem unzulässigen Eingriff
in die Religionsfreiheit verbunden wäre. Insoweit stimmt die Logik der
Klägerin.
Was stellt jetzt aber das Gericht fest?
Vorher werde, so meinten die
Richter, die „moralisch-ethische Orientierung fächerübergreifend
geleistet“ und sie verwiesen unter anderem auf den Geschichts-,
Biologie- und Deutschunterricht. „Hinzu kommt, dass ethische Werte und
Grundsätze auch im Rahmen des sozialen Miteinanders innerhalb des
Klassenverbands vermittelt werden.
„Gegenstand
des Religionsunterrichts ist der Bekenntnisinhalt, nämlich die
Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende
Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe.“ Für
Erziehungsberechtigte, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, sei
daraus kein Anspruch auf einen Ethikuntericht für ihre die Grundschule
besuchenden Kinder geltend zu machen. (Quelle: hpd, gekürzt)
Das Gericht sagt euch also
ins Gesicht, dass der Religionsunterricht
kein relevanter Teil der ethisch-moralischen Bildung in der Schule ist. Stattdessen geht es um die Vermittlung der
Glaubenssätze als Wahrheit. Und Humanisten regen sich jetzt über diese Erkenntnis auf?
Ihr habt jetzt von einem Gericht gehört, dass der Religionsunterricht ethisch-moralisch irrelevant ist.
Was bitte wollt ihr mehr?
Wenn
der Religionsunterricht kein relevanter Teil der ethisch-moralischen
Bildung ist, dann gibt es auch keinen fehlenden Zugang zur
ethisch-moralischen Bildung, keine Ungleichbehandlung und damit
natürlich auch keine Anspruchsgrundlage.
Wenn
ihr jetzt aus dem nicht-hingehen zum Religionsunterricht aus
nicht-religiösen Gründen ein Recht auf einen Alternativunterricht
herausklagen wollt:
Guten
Tag mein lieber VGH Bawü. Meine Söhne dürfen aus nicht-religiösen
Gründen nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Aber damit werden sie
von ihrem Recht beschnitten, eine ethisch-moralische Ausbildung zu
erhalten. Der restliche Unterricht ist ganz niedlich, aber er enthält ja
diese Wertvorstellungen nicht, deshalb haben meine Söhne Anrecht auf
einen Ethikunterricht, der die korrekten Lehrinhalte enthält. (Quelle:
Folgeklage am VGH)
Dann seid euch bitte im Klaren, dass als nächstes der nette Herr Kreationist ums Eck biegt, und sagt:
Guten
Tag mein liebes VG Freiburg. Mein Sohn darf aus religiösen Gründen
nicht am Biologieunterricht teilnehmen. Aber damit wird er von seinem
Recht beschnitten, zu erfahren, dass Gott vor 6000 Jahren die ganzen
Fossilien in der Erde versteckt hat, um die heutigen Biologen zu foppen.
Der Religionsunterricht ist ganz niedlich, aber er enthält ja diese
Wertvorstellungen nicht, deshalb hat mein Sohn Anrecht auf einen
Kreationismusunterricht, der die korrekte biologische Lehre vertritt.
Und übrigens gibts da dieses Urteil vom VGH, ... (Quelle: Netter
Kreationist)
Nachtrag: "Das VG sagt der Religionsunterricht ist verfassungsrechtlich privilegiert. WTF?" (Quelle: Twitter)
Ja.
Und da hat es recht. Das ist eine reine faktische Aussage. Und da kann
auch der VGH nichts dran reißen. Und das BVerfG genausowenig. Wenn dich
das ankäst, dann musst du nicht über Gerichte lästern, sondern das
Grundgesetz ändern. Ich empfehle vor der Ausarbeitung eines
entsprechenden Programmvorschlags für deine Lieblingspartei die Lektüre
eines einschlägigen Grundgesetzkommentars zu
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