Sonntag, 12. Dezember 2010

Sturm im Wasserglas

Es brodelt mal wieder in NRW. Mitbekommen hab ich das nur am Rande durch die Bundesvorstandssitzung vom 02.12.. Und zwar haben in NRW einige Piraten beim dortigen LV beantragt "aus Kreisverbänden in den Landesverband zu wechseln". Der Landesverbandsvorstand NRW hatte damit kein Problem. Man kann ja schließlich durchaus Verbände 'horizontal' wechseln - also von einem KV in einen anderen, warum also nicht 'vertikal' - also von einem KV in einen LV? Allerdings wollte der Landesverbandsvorstand sicherheitshalber dann doch beim Bundesvorstand nachfragen. Dieser wiederum kam zum Schluss dass so ein vertikaler Mitgliedschaftswechsel nicht möglich wäre.

Und nun kam auf der Liste der AG Recht die Frage auf, wer hat denn nun Recht habe. Also erlebte ich abermals einen Rückfall, und verfasste eine ausführliche Antwort. Da ich darum gebeten wurde, hier also die Mail im Volltext.



Vertikaler Wechsel

Also zunächst mal müssen wir die Begrifflichkeiten klären. Es gibt keinen vertikalen Wechsel.
Der Grund dafür ist §7 PartG, der die gestufte Mehrfachmitgliedschaft festlegt. Ein Pirat in München ist damit grundsätzlich Mitglied im
  • Kreisverband München,
  • Bezirksverband Oberbayern,
  • Landesverband Bayern
    UND
  • im Bundesverband.
Ein vertikaler 'Wechsel' ist damit nicht möglich, weil alle Betroffenen schon längst Mitglied im Landesverband sind. Die korrekte Frage ist also: "Kann ich aus einer einzelnen Gliederung austreten wann es mir passt?"

Austritt aus einer Gliederung

Ich habe zwar leider gerade keinen der beiden großen Kommentare (Rixen, Ipsen) vorliegen, aber meine mich zu erinnern dass inhaltlich dort ähnlich argumentiert wird wie Morlok, Nomos Bundesrecht, §7 PartG Rn 21:
Die Parteimitgliedschaft knüpft an einen konkreten, regionalen Gebietsverband der untersten Stufe an, zugleich vermittelt sie dem Einzelnen die Mitgliedschaft in den höheren Organisationsstufen bis hin zur (Gesamt-)Partei, es entsteht damit eine »gestufte Mehrfachmitgliedschaft« (so bereits RG, JW 1927, 2363; vgl. auch BGHZ 73, 275 (278); B. Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 10. Aufl. 2005, S. 966, Rn. 5607 f.; K.-H. Seifert, Die Politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 199). Ein Austritt aus dem jeweiligen Gebietsverband führt automatisch zum Ausscheiden aus der (Gesamt-)Partei. Aus dem akzessorischen Charakter der Mitgliedschaft folgt, dass eine ausschließliche Mitgliedschaft in der (Gesamt-)Partei ebenso ausgeschlossen ist wie die Möglichkeit, Mitglied bloß in einem konkreten Gebietsverband auf einer einzelnen Organisationsstufe zu sein, ohne zugleich der (Gesamt-)Partei anzugehören. § 3 V 1 der Bundessatzung der FDP, wonach in Ausnahmefällen eine bundesunmittelbare Mitgliedschaft in der Gesamtpartei genehmigt werden kann, ist wegen Verstoßes gegen Sinn und Zweck des in § 7 enthaltenen Organisationsgebotes als gesetzeswidrig anzusehen.
§3 V 1 FDP lautet: "Die Mitgliedschaft kann in begründeten Ausnahmefällen auf Antrag auch unmittelbar bei der Bundespartei erworben werden. Diese Anträge bedürfen der Genehmigung des Bundesvorstandes, der über sie im Benehmen mit dem zuständigen Landesverband entscheidet." Also zumindest eine Nichtmitgliedschaft auf Landesverbandsebene wird kategorisch ausgeschlossen (so iirc auch Ipsen und Rixen, in allen Fällen möglicherweise mit Ausnahme von Auslandsmitgliedschaften). Ist eine Nichtmitgliedschaft auf Bezirks-/Kreisebene zulässig? Aus Morlok, Nomos, Bundesrecht, Rn 15:
"Aus [§7 Abs 1] Satz 3 folgt aber, dass sich die Parteien mindestens bis zur Kreisebene in Gebietsverbände zu untergliedern haben (E. Schunck, Die Parteien, Staats- und Kommunalverwaltung, Bd. 14 (1968), S. 29 (31); K.-H. Seifert, Die Politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 201)."
lese zumindest ich heraus dass kein besonderes Bezirks-/Kreisprivileg vorliegt, da auch diese essentielle Organisationsstruktur der Gesamtpartei sind. (Ausgenommen wohl Berlin, Bremen, Hamburg, §7 I 4 PartG) (§7 II PartG stellt fest dass es keine Gründungspflicht für KV/BzV oder LVs gibt)

Horizontaler Wechsel

Dass die Mitglieder im Zweifelsfall den Kreisverband wechseln können, indem sie einfach einen anderen Wohnort angeben, ist davon ab wohl unkritisch. ABER: Für Aufstellungsveranstaltungen auf lokaler Ebene (Wahlkreiskandidaten o.ä., keine Ahnung wie das in NRW läuft) gilt vermutlich der Erstwohnsitz. Da muss dann aufgepasst werden. Eine völlige Wahlfreiheit gibt es jedoch auch nicht:
"Die Koppelung der Parteimitgliedschaft an den Wohnsitz ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich jedoch aus dem Gebot der Gewährleistung eines demokratischen Willensbildungsprozesses »von unten nach oben« und der gebietlichen Gliederung. (..) Darüber hinaus ist der Gefahr einer manipulativen meinungs- bzw. mehrheitsorientierten Zusammensetzung von Ortsverbänden entgegenzuwirken. Dies gewährleistet das Wohnsitzprinzip als objektives Zuweisungskriterium. Die freie Wahl der Zugehörigkeit zu einem konkreten Gebietsverband ist daher ausgeschlossen. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann eine Abweichung vom Wohnsitzprinzip als zulässig erachtet werden, so z.B. wenn eine effektive Mitwirkung zeitlich bedingt nur in einem Ortsverband am Arbeitsplatz möglich ist (vgl. z.?B. § 5 II Bundesstatut der CDU). Der Begriff des Wohnsitzes ist nicht identisch mit dem Erstwohnsitz, der für das politische Wahlrecht entscheidend ist. Als relevant ist vielmehr der Ort anzusehen, an dem das Parteimitglied tatsächlich lebt und seinen Lebensmittelpunkt hat, denn nur dies entspricht der gesetzlichen Forderung, eine reale Mitwirkung zu ermöglichen (so auch die Bundesschiedskommission der SPD, Entscheidung vom 05. 08. 1975, Az. 8/1975/St)." – Morlok, Nomos, Bundesrecht, §7 Rn 20

Aber was sind denn die Konsequenzen?

Wenn der 'Austritt' aus dem KV tatsächlich als Austritt aus der Gesamtpartei zu werten ist, dann sind die Mitglieder spätestens mit Zahlung und Annahme des nächsten Beitrags wieder Mitglied. Insofern also kein Konflikt. Mitglieder die aus einem KV - je nach Rechtsauffassung - austreten, oder meinen auszutreten, üben ihre Mitgliedschaftsrechte dort nicht mehr aus. Kein Problem, das steht jedem Mitglied ohnehin frei. Solange sie nicht daran gehindert werden ihre Mitgliedschaftsrechte auszuüben entsteht also auch hier kein Konflikt. Mitgliedsbeiträge werden anteilig nicht dem KV übergeben. Dem Mitglied isses Recht, und bis ein KV dagegen vorgeht entsteht ebenfalls kein Konflikt. Und wenn ein KV dagegen vorgeht, und nötigenfalls die Auslegung vor Gericht prüfen lässt, dann wird halt für drei Jahre nachgezahlt. Da alle Geldmittel aber in der Partei verbleiben, oder für Parteizwecke verwendet werden, ist das im Hinsicht auf den gesamtparteilichen Rechenschaftsbericht irrelevant. Bei horizontalen Übertritt in einen anderen Kreis ohne bestehenden KV besteht ebenfalls keine Konfliktgefahr, ausser der bisherige Kreis will dagegen vorgehen (unrealistisch). Wird im neuen Kreis jedoch ein KV gegründet, so hat dieser nun Ansprüche auf einen Mitgliedschaftsbeitrag. Besteht am Übertrittsziel bereits ein KV, so kann dieser eventuell die Annahme des Mitglieds verweigern, wenn dieser dort keinen tatsächlichen Lebensmittelpunktbezug hat.

Was ich nicht verstehe

Warum Piraten, deren Motto angeblich "Klarmachen zum Ändern" ist, aus einem Verband austreten wollen, weil dort etwas nicht rund läuft, statt dort etwas zu ändern.

Es gab schon genug Fälle von Verbänden in denen es mal richtig - also so RICHTIG gebrannt hat. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Mittelfranken am Anfang dieses Jahres, an derem BzPT Andi Popp und ich uns schon Gedanken darüber gemacht haben was passiert wenn ein Parteitag keinen Vorstand wählt, weil sich der Verband komplett zerstritten hatte, und sich keiner mehr aufstellen lassen wollte. Heute ist Mittelfranken aktionsmäßig einer der aktivsten Verbände in Bayern.

Beste Grüße,
-Markus