Donnerstag, 27. Januar 2011

Schiedsgerichtsreform - Aufruf zum Mitmachen

"Das Bundesschiedsgericht ist die Kläranlage der Partei. Irgendwann kommt jeder Scheiß dort an." -- Anthem

Motivation

Jeder Pirat, der einmal auf einer Mailingliste war, hat schon einmal von ihm gehört. Viele Piraten haben es schon angerufen. Einige Piraten haben ihm schon viele Seiten Schriftsätze geschenkt. Manch einer auch zu viele. Die Arbeit dort ist reichlich, oftmals ärgerlich, bisweilen haarsträubend. Und der Mist wird von allen Ecken, Enden und Landesverbänden angekarrt. Die Rede ist vom Bundesschiedsgericht.

Auch wenn das Bundesschiedsgericht von sich aus keine Zahlen nennt, so kann man davon ausgehen dass am Schiedsgericht zu jedem Zeitpunkt geschätzt mindestens 3 Verfahren anhängig sind. Telefonkonferenzen fanden, was man so mitbekommt, wöchentlich statt - in dringlichen Fällen auch öfter. Dass die Richter am BSG überarbeitet sind und aufgerieben, ist auch ohne offizielle Mitteilungen offenkundig. Dass der gelegentliche Shitstorm der Basis gegen Schiedsgerichte (früher: LQFB, Bund, aktuell: Bodo, RLP) den Beteiligten dort nicht hilft sollte ebenfalls klar sein.

Es wäre falsch zu behaupten, dass es für all diese Probleme eine Ursache und eine Lösung gibt. Aber an einigen Stellen kann man durchaus die aktuelle Schiedsgerichtsordnung verantwortlich machen. Im Grunde ist es ein offenes Geheimnis dass unsere Schiedsgerichtsordnung zwar einer Partei von 1.000 Mitgliedern gerecht wurde, aber für eine Partei von 12.000 Piraten nicht mehr geeignet ist. Ausserdem ist die Schiedsgerichtsordnung nicht nur für das BSG sondern auch für alle Landesschiedsgerichte verbindlich vorgeschrieben. Es vergeht daher eigentlich keine Woche in der sich nicht jemand über irgendein Manko aufregt.

Darum der Plan: Im April oder Mai 2011 soll der nächste Bundesparteitag stattfinden. Zu diesem Parteitag sollen ein oder mehrere Änderungsanträge zur Schiedsgerichtsordnung eingebracht werden, die sich auf eine möglichst breite Basis stützen können. Diese Schiedsgerichtsreform soll idealerweise vorher breit diskutiert werden. Sie wird zwar wohl nicht alle Probleme beheben können werden, soll aber die Schiedsgerichte auf den Weg zu einer SGO 2.0 bringen.

Dazu allerdings braucht es Mitstreiter. Wenn Du dich also einbringen willst, oder jemanden kennst, der das möchte oder könnte -- dann leite diesen Aufruf weiter, und melde dich bei markus.gerstel (at) piratenpartei-bayern (.) de. Getreu dem Motto "Klarmachen zum Ändern" wollen wir auch die Mitwirkung so offen wie möglich gestalten, und insbesondere die verschiedenen Alternativen auch über Liquid Feedback abstimmen. Und auch wenn du keine Lust für den ganzen Formalkram hast - vielleicht hast du ja 'nur' einen tollen Namen für unsere Reformanträge - SGR klingt so paragraphenfixiert :)




Konkret

Hier also eine nicht abgeschlossene Auflistung der bekannten Kritikpunkte an der aktuellen Schiedsgerichtsordnung - in keiner besonderen Reihenfolge. Wenn euch zu einem Punkt noch mehr einfällt, oder ihr weitere Punkte habt, dann kommentiert doch bitte fleißig dazu:

Fehlendes Kammersystem (LQFB-Initiativen)


Durch den Umstand dass aktuell jede Klage vorm BSG am gleichen Gremium, von den gleichen 5 Richtern bearbeitet werden muss, muss umgekehrt auch jeder Richter sich mit allen Fällen auseinandersetzen. Das wiederum resultiert in Überarbeitung. Ausserdem gibt es keine parteiinterne Revisionsinstanz für Klagen die direkt beim BSG eingehen. Eine Lösung dafür könnte ein Kammersystem sein: Bei einer Besetzung des BSG mit 7 aktiven Richtern kann man eine große Kammer mit 7 Richtern, sowie kleine Kammern mit jeweils 3 Richtern einführen. Eine kleine Kammer wäre dann Eingangsinstanz, und die große Kammer die letzte innerparteiliche Revisionsinstanz.
Vorteile eines Kammergerichts sind schnellere Entscheidungen, da weniger Richter sich in den Stoff einarbeiten müssen, und jeder einzelne Richter mit weniger Fällen betraut wird. Wirklich wichtige/kontroverse Fälle können aber immer noch zum gesamten Gericht hocheskaliert werden. Nachteile sind der größere Initialaufwand (Geschäftsverteilungsplan) und der insgesamt höhere Personalaufwand (es sind mindestens 7 aktive Richter plus Ersatzrichter dafür nötig), sowie der Verwaltungsoverhead durch die Notwendigkeit für Richter innerhalb des Gerichts in verschiedenen Kammern zu arbeiten. Auch der Praxiswert muss sich noch beweisen, denn in der großen Kammer säßen 3 der 7 Richter aus der Vorinstanz. Sollten diese einstimmig entschieden haben, so können sie zwar immer noch überstimmt werden, doch läge die Hürde sehr hoch.

Fehlende Flexibilität in der Besetzung (LQFB-Initiativen)


Momentan werden Landesschiedsgerichte entweder mit 5 Richtern und 2 Ersatzrichtern, oder mit 3 Richtern und 1 Ersatzrichter besetzt. Andere Konstellationen sind ausgeschlossen. Insbesondere besteht nicht die Möglichkeit mehr als zwei bzw einen Ersatzrichter zu bestimmen. Hier sollte den Landesverbänden etwas mehr Spielraum in der Besetzung eingeräumt werden. Man könnte sogar soweit gehen und feststellen dass es nicht immer eine ungerade Zahl sein muss.

Fehlende (Pflicht-)Inhalte der Geschäftsordnung


Aktuell wird in der Schiedsgerichtsordnung überhaupt nichts zu einer Geschäftsordnung des Schiedsgerichts gesagt. Zumindest das BSG hat sich (lobenswerterweise) dennoch eine gegeben. Dazu hat Tessarakt schon einmal abstimmen lassen. Seine grundsätzlichen Punkte waren die zugelassenen Kommunikationswege, die Häufigkeit, Einberufung und Medien von Sitzungen, die Verfahrensdokumentation, Aktenzeichen, -führung und -sicherung, die Einladung zu Anhörungen, deren Ablauf und Dokumentation, sowie die Dokumentation von Entscheidungen.

Formzwang (LQFB-Initiativen)


Aktuell müssen nach unserer Schiedsgerichtsordnung Klagen eigentlich schriftlich eingereicht werden. (z.B. §3 Abs 1 Satz 1, aber auch an mehreren weiteren Stellen) Tatsächlich wird das selbst vor dem Bundesschiedsgericht nicht so praktiziert, und auch die meisten Landesschiedsgerichte wünschen oder erlauben zumindest die Einreichung per E-Mail. Dies ist nur verständlich, da man den Klägern die per E-Mail einreichen, nicht unbedingt auch noch Steine in den Weg legen will.
Es hat ausserdem schon etwas komisches wenn eilbedürftige Anträge postalisch eingereicht werden (in anderen Worten: wtf?). Der Vorschlag ist daher alle Forderungen der Schriftform (§126 BGB) in der Schiedsgerichtsordnung durch Textform (§126b BGB) zu ersetzen. Textform erlaubt, zusätzlich zur weiterhin möglichen Einreichung per Brief, auch die Einreichung per E-Mail.

Undefinierte Stellung von Ersatzrichtern


Sind Ersatzschiedsrichter Teil des Schiedsgerichts? Dürfen Ersatzschiedsrichter Fallinterna lesen? Obwohl man zwar meint eine einfache Antwort darauf zu haben, führte u.A. diese Frage bei einem Landesschiedsgericht zu Problemen. Schließt man jedoch Ersatzrichter von Mailinglisten aus (und weitergedacht auch: andere Kammern), so verkompliziert dies natürlich die interne Kommunikation unnötig. Ersatzrichter unterliegen selbstverständlich in jedem Fall der Verschwiegenheitspflicht.

Verbotene Transparenz


Das Gericht darf sich nach der engen Auslegung des §6 Abs 5 zu laufenden Verfahren gar nicht äußern. Davon ausgenommen sind lediglich die Fälle des §1 Abs 2 (Einflussnahme von außen). Wie jedoch zum Beispiel ein aktueller Fall am LSG RLP zeigt, wäre es doch wünschenswert wenn das Schiedsgericht (als Spruchkörper, nicht die einzelnen Richter) Stellungnahmen abgeben können darf. Darüberhinaus sollten Schiedsgerichte einen Überblick über beispielsweise die Zahl der anhängigen Verfahren offenlegen müssen.

Verfahrensdauer


Es gibt aktuell keine Richtlinie zur Verfahrensdauer. Zwar ist es unsinnig eine maximale Prozessdauer festzulegen, aber eine Zielvorgabe wäre durchaus sinnvoll.

Übergangsregelung bei Schiedsgerichtsneubesetzung (LQFB-Initiativen)


Was passiert mit laufenden Schiedsgerichtsverfahren wenn ein Schiedsgericht neu besetzt wird? Gehen die Verfahren automatisch an die neuen Gerichte über, oder erledigen die alten Gerichte noch die alten Verfahren? Wenn man sich an Art 101 Abs 1 S 2 GG orientiert, dann müssen eigentlich die Fälle bei den alten Gerichten verbleiben, ausser beide Streitparteien wären mit einer Übergabe einverstanden. Zumindest sollte eine Regelung dafür da sein bevor der Fall dann tatsächlich einmal eintritt. An der Stelle könnte man auch überlegen ob man die Amtszeit bei der aktuellen Regelung belässt, oder diese verlängert.

Anonymisierte Urteilsveröffentlichung


Es hat sich noch nicht an allen Landesschiedsgerichten herumgesprochen dass wenn Urteile veröffentlicht werden, diese keine Namen zu enthalten haben. Insbesondere dann nicht, wenn sie seitenweise über den psychischen Zustand des Klägers referieren (die Angesprochenen wissen schon...).

Sichernde Befugnisse der Schiedsgerichte


Im bekannten Liquid-Feedback-Fall vor dem BSG hat das BSG zunächst einstweiligen Rechtschutz gewährt. Allerdings kann man durchaus (auch schlüssig) die Meinung vertreten dass Parteischiedsgerichten überhaupt kein Recht zusteht sichernde Maßnahmen zu ergreifen. Es steht zumindest für mich ausser Frage dass sie es dürfen sollen, nur braucht es dazu explizit eine Grundlage in der Satzung. Einen Absatz wie man dagegen vorgehen kann, und wer wie zu belehren ist, eingeschlossen.

Beschwerdeführer statt Kläger


Es wurde von HerrUrbach mal vorgebracht dass die Benennung der Streitparteien als Kläger und Beklagte einfach nicht auf ein Schiedsgerichtsverfahren zutrifft. Stattdessen soll beispielsweise der Begriff Beschwerdeführer verwendet werden.

Pflicht zur Vermittlung


Die gesetzliche Pflicht, bei Streitigkeiten vermittelnd tätig zu werden ("Zur Schlichtung...", §14 PartG) soll mehr zum Ausdruck kommen, damit diese dann auch genutzt wird - und nicht gleich eine Klage das Mittel der Wahl ist.

Feststellungsklagen


Man könnte, wenn man will, eine Feststellungsklage als neue Klageform einführen. Der Vorteil davon wäre dass man nicht warten muss bis das Kind in den Brunnen fällt, um Ertrinkungsgefahr festzustellen. Der Nachteil ist, dass Schiedsgerichtsurteile eigentlich keine Präzedenzwirkung entfalten, von daher der Erkenntniswert solcher Klagearten wohl eher beschränkt sein wird.

Prozesskosten


Es wurde vorgeschlagen für offensichtlich unbegründete Klagen eine Prozessgebühr zu verlangen. Dies könnte man beispielsweise so ausgestalten dass bei Einreichung einer Klage eine Kaution hinterlegt werden muss, die anschließend zurückerstattet wird. Man könnte das auch nur auf Berufungsverfahren einschränken oder an einer Mindestanzahl Klagen pro Zeitraum, beispielsweise ab der 2. Klage pro Quartal, festmachen.