Trollresistenz
Es wird ja gerne behauptet dass Liquid Feedback trollresistent ist. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und für mich herausgefunden dass diese "Resistenz" nicht im Sinne der in der Informatik bekannten Begriffe Verhinderung oder Vermeidung gemeint ist, sondern eher im Sinne einer Gripperesistenz: Man wird gegen jeden Troll resistent, indem man ihn individuell einmal identifiziert hat. Mir sind in Liquid Feedback sind soweit folgende Trolltypen aufgefallen:
Identitätstrolle. Beispiele dafür sind Markus Gerstel (Verified Account), und erst recht berühmt: AndiPopp (nicht der echte, sondern der andere). Die wird man mit der Zeit natürlich los, allerdings eben nur einzeln.
Spamtrolle. Eine Initiative wird 15x eingereicht, oder in sachfremde Themen eingestellt. Hiergegen hilft Auto-Ablehnen. Leider bedeutet das auch, dass man regelmäßig durchschauen muss, ob eventuell gute Initiativen irgendwo untergehen. Ich würde hier tatsächlich gerne ein Feature sehen, dass es mir erlaubt Initiativen von bestimmten Benutzern auszublenden, solange sie das Quorum nicht erreicht haben. Das Allheilmittel 'Delegation' hilft hier auch nur nach dem bekannten Team-Prinzip: Toll, ein anderer muss sich durchwirtschaften. Und will man mehr tun als eine bloße Themen- oder gar Globaldelegation zu vergeben, so muss man trotzdem durch den Müll waten.
Inhaltstrolle. Wir streichen mal eben Sätze aus Gesetzen und Verfassungen weil wir sie nicht verstehen, oder der Meinung sind sie braucht keiner. Oder wir fordern Nichtraucherschutz auf Balkonen in Mehrfamilienhäusern - natürlich per Volksentscheid. Populistische Forderungen, meist mit nichts untermauert. Und doch provozieren sie manchmal Gegenreaktionen herauf, und beschäftigen gute Leute unnötig, da diese sonst die Befürchtung haben dass so ein Schmarrn irgendwo mal durchkommt. Solange Liquid Feedback keine echten Auswirkungen hat, mag das schön und gut sein - aber wer kann bitte heute schon abschließend sagen welche Auswirkungen eine Abstimmung dort tatsächlich haben wird? In Liquid Feedback greift natürlich auch ein Selektionsmechanismus: Auf plumpe Trolle fällt keiner mehr herein. Aber geschickte Trolle, die beispielsweise in der Initiative anderes fordern als in der Überschrift, haben auch in Berlin noch gute Chancen. Hand aufs Herz - wer hat denn wirklich die Zeit seitenweise Text zu lesen?
"Trollresistenz" ist für mich ein klarer Mythos. Ich weiß wie es gemeint ist, und ich finde es auch toll dass unbeachtete Initiativen und Themen nach hinten rutschen - aber für mich ist das keine Trollresistenz sondern eine glorifizierte Sortierung.
Ach, und die vielbeschworenen "lauten Leute" in der Partei? Tja, die sind natürlich auch nicht einfach weg. Von wegen, diese braucht man jetzt mehr denn je: Gerade in Liquid Feedback müssen Initiativen beworben werden. Damit man nicht auf der 28. Seite der Neu-Anträge herumdümpelt braucht man eben Marktschreier auf Mailinglisten oder über Twitter. Kennt dich keiner, dann kennt auch keiner deine Initiative, und du gehst in der Masse unter.
Pseudonyme Nutzung
Das wird jetzt etwas komplizierter und wesentlich länger.
Mein Verständnis eines Pseudonyms, und das wie es gerne in diesem Zusammenhang propagiert wird, ist das eines klassischen Schriftstellers, der unter einem fremden Namen publiziert, da er - aus welchen Gründen auch immer - nicht mit der Publikation in Verbindung gebracht werden will. Und ist der Verleger brav, dann kann man, so man will, sein Pseudonym auch mal unaufgedeckt mit ins Grab nehmen.
Pseudonyme in Liquid Feedback funktionieren jedoch komplett anders, wie ich es in Liquid Feedback am eigenen Leib erfahren habe. Ich habe mich zuerst absichtlich nicht unter meinem eigenen Namen angemeldet. Am nächsten Tag klingelte mein Telefon, und ein Pirat fragte mich, ob ich denn wirklich der Markus Gerstel im Liquid Feedback sei:
Natürlich war ich es nicht. Ich habe also in alle Welt verkündet: Hey, das bin nicht ich - und was ist passiert? "Markus Gerstel (Verified Account)" hat aktuell 18 eingehende Delegationen, davon 8 für den Themenbereich 'Satzung und Parteistruktur', und nochmal 2 weitere für spezielle Themen darin. (An dieser Stelle: Danke für das Vertrauen aller Delegierenden. Nice Try :D) Unter den Delegierenden auch bekannte Leute wie Tirsales, ValiDOM und Pavel Mayer. Und AndiPopp. Aber zu dem später mehr. Besonders heiß: Die Webadresse im Profil des falschen Markus Gerstel verweist auf meinen Tweet dass es sich nicht um meinen Account handelt. Meine erste Lektion war also: Ist dein Name in der Partei bekannt, so musst du ihn in Liquid Feedback auch verwenden - sonst tut es ein Anderer.
Aah, aber dann hieß es ja: Melde dich doch beim Support und schwärze den Kollegen an, der da deinen Namen benutzt. Ich habe das absichtlich gelassen, denn ich wollte noch weiter beobachten. Einige Leute haben mitbekommen dass nicht ich hinter diesem Account stecke. Also kame unweigerlich die Frage: Hey, wer bist du denn im Liquid Feedback? Wir wollen dir delegieren, weil du Ahnung von gewissen Themen hast. Meine zweite Lektion war daher: Hast du Ahnung von Themen, und ist es dir nicht vollständig egal was dort passiert, kannst du dein Pseudonym nicht für dich behalten.
Denn als ich antwortete, dass ich mein Pseudonym erstmal noch für mich behalten wolle, bekam ich enttäuschte Reaktionen. Die dritte Lektion: Wenn dir Leute vertrauen, du Ihnen aber durch die Geheimhaltung deines Pseudonyms ja offensichtlich nicht vertraust, belastest du dein soziales Umfeld.
Eine Forderung, die ich ja bereits gestellt hatte bevor Liquid Feedback in Betrieb ging war, verifizierte Accounts in Liquid Feedback einzuführen. Ein entsprechender Antrag landete auch sehr schnell im Liquid Feedback, initiiert von einem falschen Andi 'Valentin' Popp. Zu diesem Zeitpunkt war der echte Andi Popp noch nicht im Liquid Feedback aktiv. Es dauerte auch nicht lange bis eine Gegeninitiative auftauchte, die eine Verifikation von Accounts wegen des zu erwarteten sozialen Drucks ablehnte. Die Realsatire beginnt an der Stelle als der echte Andi Popp auf Twitter erklärt dass er krank im Bett läge, und noch gar nicht in Liquid Feedback aktiv sei. Und jetzt wurde der echte Andi Popp von Gegnern der Initiative tatsächlich aufgefordert seinen Account über Twitter zu verifizieren. Die Gegner der Initiative liegen natürlich völlig richtig wenn sie sagen, dass verifizierte Accounts eine Zweiklassengesellschaft aufbauen. Aber, und das ist die vierte Lektion, der befürchtete soziale Druck ist schon längst da. Es ist zwar möglich an Liquid Feedback teilzunehmen, ohne sein Pseudonym aufzudecken. Aber nicht in dem Maße wie es allen anderen möglich ist. Und damit haben wir auch bereits die gefürchtete Zweiklassengesellschaft.
Dass Kandidaten für Parteiämter oder Listenplätze in Zukunft mit der Frage "Wer bist du im Liquid Feedback?" rechnen müssen, sollte jedem klar sein. Interessanter ist, dass selbst 'einfache' Piraten ohne Ämter es für nötig hielten Ihren Liquid Feedback-Account zu bestätigen. Keine der bisherigen Lektionen hängt von einem Amt ab.
Aktuell bin ich bei 61 Themen als interessiert eingetragen, und unterstütze dort 73 Initiativen direkt. Weitere Themen und Initiativen unterstütze ich per Delegation. Wenn ich nur die Themen zähle, die aktuell in der Diskussionsphase sind, komme ich auf 159 - ohne Sandkasten. 4 Initiativen habe ich selbst initiiert. Wenn ich Initiativen nicht bewerbe, gehen sie schlicht und ergreifend unter. Bewerbe ich meine Initiativen, gebe ich mein Pseudonym preis.
Gleiches gilt andersherum: Fasel und rxl haben Initiativen gestartet, bei denen ich mehr oder weniger mitgearbeitet, oder auch nur drübergeschaut habe. Wer weiß, wo ich mitarbeite, und sieht, wer unterstützt, der muss nur noch das Konzept einer Schnittmenge verstehen, um mein Pseudonym herauszufinden.
Lektion Nummer fünf: Aktive Teilnahme -oder- vornehme Zurückhaltung. Willst du Liquid Feedback voll ausnutzen, und selbst etwas bewegen, dann kannst du dir ein geheimes Pseudonym nicht leisten. Zumindest kein Pseudonym, das von dem sonst in der Parteikommunikation von dir bereits verwendeten abweicht.
Aber es ist ja alles kein Problem. Ich kann mein Pseudonym ja jederzeit ändern. Und das kann ich unbemerkt von anderen Leuten, ausser - ja, ausser - sie haben mich als Kontakt hinzugefügt, auf mich delegiert, kennen eine meiner Initiativen, oder die URL meines Profils. Denn dann ist die Rückverfolgung trivial. Die sechste Lektion: Einmal aufgedeckt, immer aufgedeckt. Und zwar nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit.
Nun kann ich noch den ganzen Account schließen lassen, und mir über meinen Generalsekretär einen neuen Referenzschlüssel bestellen, und einen neuen Account mit neuem Pseudonym eröffnen. Wahlweise darf ich als Folge davon nun die 73 von mir unterstützten Initiativen neu unterstützen, meine 4 initiierten Initiativen neu initiieren oder nicht mehr bearbeiten, meine 31 eingehenden Delegationen verlieren, und/oder meine 33 ausgehenden Delegationen neu setzen. Von den aktuell laufenden Abstimmungen ganz zu schweigen. Und für den Fall dass ein Accountwechsel praktikabel gestaltet werden könnte - wären wir genausoweit wie vorher: Das neue Pseudonym ist bereits entweder durch meine neuen, alten Initiativen, oder durch meine neuen, alten Delegationen aufgedeckt. Lektion sieben ist daher Lektion fünf: Aktive Teilnahme -oder- Pseudonymität.
Bis hierhin habe ich doch tatsächlich noch alle Gefahren umschiffen, und mein Pseudonym schützen können. Als ich in meiner letzten Initiative einen bekannten Grundgesetzkommentar zitierte, wurde mir gesagt dass meine Art zu zitieren doch sehr auffällig sei. Und für einen Moment witterte ich schon Gefahr. Doch die Tatsache dass Textanalyse, oder der Personenkreis an den delegiert wird, bereits zur Identifikation ausreichen ist mir keine eigene Lektion wert.
Die tatsächliche Gefahr kam dann von anderer Stelle: Von den Liquid Feedback-Admins selbst. Die ersten Anzeichen kamen - witzigerweise - wieder aus dem Umfeld von Andi Popp: Ein Pirat hat sich unter dem Pseudonym kreuzritter angemeldet, und anschließend sein Pseudonym in kr0815 geändert. Aus Respekt davor, dass Andi Popp mal vor geraumer Zeit diesen Nick verwendet hatte. In sein Profil schrieb er "Ich seh zwar nicht ein, dass irgendwer mehr Rechte auf einen Nick als jemand anderes hat, aber den Nick eines "Promis" nehm ich selbstverständlich nicht." Der Zyniker in mir sieht natürlich sofort die Notwendigkeit ähnlich zu Domainnamen nun ein DISPUTE-Verfahren zu Nick-Kollisionen (Siehe zum Beispiel die Namen Alex oder Wolf in der aktuellen Mitgliederliste), am Besten auch noch vor der WIPO. Jeder hat darzulegen wie, wie oft, wie lange er seinen Nick benutzt, und am Ende wird er einem zugesprochen. Und eigene Liquid Abmahnvereine schützen deine Nicks, wenn du nicht die Zeit dazu hast. Die gute Nachricht ist, dass Pseudonyme nicht einmal eindeutig sein müssen, wie die beiden AndiPopps aktuell schön zeigen:
Verstecken kann man sich dahinter dennoch nicht. Denn das habe ich gestern Abend am eigenen Leib erfahren, als mir von den Liquid Feedback-Admins die Löschung meines Pseudonyms innerhalb von 24 Stunden angedroht wurde. Ob sie damit nur den Namen, oder gleich den ganzen Account meinen, weiß ich leider nicht.
Zusammengefasst will ich eigentlich nur auf eines hinaus:
Pseudonyme in Liquid Feedback sind keine Pseudonyme wie man sie aus anderen Kontexten kennt, sondern eher ein zweiter Nickname. Zwar kann Pirat X in Liquid Feedback sein Pseudonym im klassischen Sinne nutzen, es nicht preisgeben und sich bedeckt halten. Er kann an Abstimmungen teilnehmen, vielleicht ein paar Delegationen verteilen - so wenige, dass daraus nicht klar wird, wem er vertraut. Das muss er dann aber auch konsequent tun. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass andere Piraten, die ihn fachlich für kompetent halten, nicht an ihn delegieren können. Bleibt man auf diese Weise anonym, kann man keine Stimmen auf sich vereinen, kann nicht mit eben dieser Kompetenz für seine Initiativen werben und es passiert, was oben schon erwähnt wurde: Gute Initiativen gehen im allgemeinen Gespamme unter.
Delegationen sind Vertrauensbekundungen. Vertrauen hat man aber nicht in anonyme Nutzer. Vertrauen hat man in Piraten die man persönlich oder zumindest online kennt und auf Grund dieser Bekanntschaft als kompetent einschätzt. Das System von LQFB ist auf Delegationen und eben dieses Vertrauen ausgelegt. Und darum ist die Behauptung, Pseudonymisierung sei ein Schutz, in meinen Augen ein unehrliches Ablenkungsmanöver.
So, und nun muss ich mir ein neues Pseudonym suchen. Mich hat es wirklich gewundert dass man so etwas so lange unter dem Tisch halten konnte. Obwohl ich von mindestens 20 Personen weiß dass sie Bescheid wissen. Doch nun: Andi, ich werde dir demnächst deinen Namen zurückgeben. Danke fürs ausleihen. Die Delegationen nehme ich aber mit :)
Nachtrag: Zumindest solange bis ich alle erreicht habe, und informiert habe dass ich nicht Andi Popp bin. Ich habe mein Profil nun geändert und (bis auf einen) alle angeschrieben die fälschlicherweise auf mich delegiert haben.