Aktuell sind ja große Abstimmwochen im bundesweiten Liquid Feedback-System der Piratenpartei. Und es gibt auch schon die ersten vorzeigbaren Ergebnisse, so haben wir basisdemokratisch festgestellt dass wir der Meinung sind, Russland sei ein souveränes Land.
Die Initiative, die mich heute zum nachdenken brachte, ist diese hier: Delegationen sollen abgelehnt werden können. Zunächst zum Hintergrund: In Liquid Feedback kann selbst agieren - also Initiativen einstellen, Anregungen formulieren und unterstützen, fremde Initiativen unterstützen und am Ende abstimmen - oder die Aufgabe an jemand anderen übertragen, also delegieren. Dem Delegierten wird dann für sämtliche Themenbereiche, einen bestimmten Themenbereich, oder auch nur zu einem einzelnen Thema dein Stimmrecht zugeschlagen, und er kann dementsprechend stärker agieren. Jedoch hat man aktuell keinerlei Möglichkeit eingehende Delegationen abzulehnen. Ziel der Initiative ist es also dies zu ändern.
Bei uns ist es üblich dass zu jeder Initiative, die Änderungen an der Liquid Feedback-Software herbeiführen will, eine Gegeninitiative der Entwickler eingestellt wird, mit dem Ziel den Status Quo zu begründen, zu rechtfertigen und zu verteidigen. So auch in diesem Fall.
Und darin finden sich die beiden Sätze "Verantwortung für andere zu übernehmen gehört zum politischen Tagesgeschäft. Die Argumentation Delegationen aufgrund der damit einhergehenden Verantwortung nicht annehmen zu wollen, kann ich daher nicht nachvollziehen." - und damit begann der Gedankenleerlauf. Die politische Dimension ist ziemlich uninteressant - wenn jemand die Verantwortung eben nicht übernehmen will, dann soll er es nicht tun. Die Gegenargumentation ist an der Stelle ziemlich .. flach. Irgendwie driftete ich aber gleich in eine andere Ecke ab:
Was ist denn eigentlich die Delegation? Eine Delegation ist im vorliegenden Fall eine Übertragung eines eng umgrenzten Teils eines Mitgliedschaftsrechts in der Partei. Das Recht ist die Teilnahme an der Meinungsbildungs/-findungsplattform Liquid Feedback, und die Übertragung speziell ist, wie oben beschrieben, die Übertragung des Stimmrechts für Anregungs- und Initiativenunterstützungen und Abstimmungen. Die Delegation kann dabei jederzeit einseitig durch den Delegierenden widerrufen werden. Implizit geschieht dies beispielsweise indem sich der Delegierende selbst in das Thema einmischt. Die Delegation findet im Speziellen unentgeltlich, im Allgemeinen ohne jede Gegenleistung statt.
Bei dieser Beschreibung fällt bei mir sofort die Diagnoseklappe, und ich weiß: Aus rein rechtlicher Sicht sprechen wir von einem Auftrag (§662 BGB). Dieser ist wie folgt (legal-)definiert:
Durch die Annahme eines Auftrags verpflichtet sich der Beauftragte, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen.
Und wenn man sich die folgenden Paragraphen so ansieht wie ein Auftrag ausgestaltet ist, dann sieht man zwar dass die wenigsten Paragraphen Anwendung finden, denn schließlich ist eine Delegation nicht mit Kosten verbunden, benötigt keinen Vorschuss, generiert keine Haftungsfragen oder Herausgabeansprüche, ist inhärent übertragbar, enthält keine spezifischen Weisungen, und ist (§671 Abs 1 HS 1 BGB) jederzeit widerrufbar. Nur aktuell vom Beauftragten eben nicht kündbar, was von der Ursprungsinitiative eben gefordert wird.
Und wenn man schon bei der Zivilrechtssituation ist, dann folgt auch immer die Frage: Wie ist das denn mit minderjährigen Mitgliedern? Denn die sind bei uns erlaubt (§2 Abs 1 Bundessatzung), und die haben eventuell nicht die (juristische) Freiheit alle möglichen Verträge einzugehen. Auch ein Auftrag ist ein Vertrag, ein Vertrag erfordert zwei Willenserklärungen, und eine Willenserklärung eines Minderjährigen fällt immer unter den Regelungsvorbehalt von §107 BGB, in anderen Worten:
Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters.
Ein nicht lediglich rechtlicher Vorteil ist für bereits geringste rechtliche Nachteile zu bejahen, beispielsweise bereits für die Pflicht eine Sache bei Nießbrauch zu erhalten (§1041 BGB), oder eben bei einem Auftrag die entstehende Rechenschaftspflicht (§666 BGB), auch wenn diese in Liquid Feedback kein aktives Eingreifen erfordert - es geht nämlich nicht um tatsächliche Nachteile (Arbeitsaufwand), sondern um rechtliche Nachteile, und eine Pflicht ist unstrittig ein Nachteil.
Und da §110 BGB nicht anwendbar ist ("vollständige Bewirkung mit zu diesem Zweck überlassenen Mitteln"), gibt es nur noch die Möglichkeit dass mit der Vereinsmitgliedschaft der gesetzliche Vertreter konkludent eine Einwilligung für alle vereinsrelevanten Tätigkeiten gegeben haben kann - das ist nach Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 18. Auflage, Rn 345 aber nicht pauschal der Fall.
Und damit gäbe es einen Grund warum es die Möglichkeit geben muss Delegationen abzulehnen.
Allerdings gibt es auch ein paar gute Nachrichten:
1. Für politische Parteien gibt es die Ansicht dass eine Parteimündigkeit ab dem 16. Lebensjahr greift, und damit der gesetzliche Vertreter außen vor bleibt (Klein in Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. Auflage 2010, Art 21 Rn 267). Solange wir also am Eintrittsalter von 16 Jahren festhalten, sollte es auch an anderen Stellen kein Problem geben. Das sollte man vor allem bei der nächsten, regelmäßigen Eintrittsalterdiskussion im Hinterkopf behalten, da dies auch ungeheures Potential hat Parteitage zu verkomplizieren.
2. Im Liquid Feedback geht es ja gottseidank eh um nichts, da Beschlüsse keine Auswirkungen haben. Und daher ist dieser ganze Text eben nur das, als was er in der Überschrift schon bezeichnet wird: Ein Gedankenleerlauf.
Ich hab mir in den Interviews mit Simon Weiß erklären lassen und sehe auch selbst so, dass Delegationen eher wie Spicken funktionieren. Eine Delegation ist also nicht so sehr ein Auftrag für denjenigen, an den man delegiert, sondern eher ein Kopieren von dessen Abstimmungsverhalten. Soweit ich weiß (und ich habe weder Urteile noch Gesetzestexte in diesem Ausmaß zur Hand) kann man für Fehler, die man z.B. in einer Klausur kopiert hat, denjenigen von dem man abgeschrieben hat nicht zur Rechenschaft ziehen. Man hätte ja auch selbst denken können. In diesen Kontext würde ich Delegationen einordnen: Nicht als Übertragung von Verantwortung, sondern als „einfach nachmachen“. Es wäre dafür nicht notwendig, dass derjenige überhaupt von der Delegation weiß. Insofern unterstütze ich auch nicht die Sichtweise der LQFBler, dass Delegationen als Übernahme von Verantwortung gewertet werden.
AntwortenLöschenMan sollte vielleicht generell überdenken, ob ein Anzeigen der Delegationen überhaupt notwendig ist. Einfach den jeweiligen Benutzer als abgestimmt zu markieren würde zugleich das Problem lösen, dass Abstimmungen die man delegiert hat als „noch anzustimmen“ angezeigt werden.
Ich würde die Diagnoseklappe eventuell noch mal aufmachen ;-)
AntwortenLöschenEine Delegation lässt sich ja als die automatisierte Anpassung des Stimmverhaltens sehen, also als eine Anweisung an das System "Kopiere alle Unterstützungen, Anregungsbewertungen und Stimmabgaben im Bereich X von Benutzer Y auf mich". Einen Auftrag an Benutzer Y sehe ich darin nicht, der ist in seinem Verhalten ja weiterhin völlig frei.
Oder mal so gefragt: Angenommen, es gäbe keine Delegationen in LF. Trotzdem kann ich natürlich immer noch einen Bot schreiben, der eine Delegation simuliert, indem er automatisch alle Initiativen unterstützt, wenn dies ein bestimmter anderer Benutzer tut. Würdest du den Einsatz eines solchen Bots tatsächlich als Auftrag im Sinne des §662 BGB sehen?
Simon Weiß
Beim Spicken kann ich sehen wie jemand anderes entscheidet, und mir dann überlegen ob ich die Ergebnisse 1:1 übernehme, modifiziere, oder meinen eigenen Schuh bastle. Beim Spicken basiert meine Entscheidung auf dem Fremdmaterial. Bei der Delegation ist meine Entscheidung das Fremdmaterial, und wenn ich herausfinde was damit gemacht wurde (zumindest bei der Abstimmung) - dann ist es auch schon zu spät die Delegation zu entziehen. Auch ist die Delegation eine auf die Zukunft gerichtete Aktion, deshalb bleibe ich bei meiner Einordnung als Auftrag. [posted by: Anthem]
AntwortenLöschenWarum sollte denn ausgerechnet die Frage, ob der "Auftraggeber" die Folgen seines "Auftrags" unmittelbar oder erst mit zeitlicher Verzögerung erfährt, ausschlaggebend dafür sein, ob es sich tatsächlich um einen Auftrag handelt? Zumindest der von dir zitierten Definition kann ich das nicht entnehmen.
AntwortenLöschenEine in die Zukunft gerichtete Aktion ist es natürlich, und sicher nicht völlig äquivalent zum Spicken. Aber bei der Frage, ob es sich um einen Auftrag handelt (und jetzt argumentiere ich zugegebenermaßen ohne jede juristische Kenntnis), sollte doch entscheidend sein, ob eine andere Person dadurch zu einer bestimmten Handlung gehalten wird. Als Kopiervorlage zu gelten ist aber keine Handlung, und die Einschränkungen denen der Delegierende dabei unterliegt spielen für diese Frage auch keine Rolle.
Simon Weiß
Die Einrichtung einer Delegation ist eine Übertragung des Stimmengewichts auf den Delegierten. Der Begriff "Delegieren" ist bewusst von den Entwicklern so gewählt worden, um eine liquide Demokratie zu simulieren, in der die Grenzen zwischen Basisdemokratie und Delegiertensystem *überwunden* werden.
AntwortenLöschenDer Versuch, das Delegationssystem nachträglich umzudefinieren, stellt lediglich eine Nebelkerze dar, die die rechtlichen Probleme zu verschleiern soll. ;-)