Donnerstag, 17. Juni 2010

Crews in der Piratenpartei - Status der NRW-Crews


Im ersten Teil habe ich versucht das von mir vermutete Selbstverständnis von den Nordrhein-Westfälischen Piraten zu ergründen. Dazu habe ich bewusst die NRW-Satzung als Informationsquelle herangezogen, da die Satzung die Meinung des Verbands widerspiegelt, auch (und gerade) wenn diese möglicherweise dem Bild widerspricht das die NRW-Piraten selbst von ihren Crews haben oder haben möchten. In diesem Teil möchte ich auf den aktuellen, tatsächlichen Status der Crews in NRW eingehen - zumindest soweit wie er sich einem bayrischen Piraten erschließt, der eben nicht vor Ort ist. Wie bereits im ersten Teil gilt: Ich will nicht pauschal das Crew-System verurteilen oder hochloben, bringe aber natürlich meine persönliche Sichtweise ein, die mitunter etwas zynischer werden kann. Daher: Weiterlesen auf eigene Gefahr.


Teil 1: Selbstverständnis NRW
Teil 2: Status der NRW-Crews

Eine kurze Wiederholung


Die Finanzverwaltung im Landesverband NRW ist aus bayrischer Sichtweise (und vermutlich nicht nur aus dieser) untypisch: Während bei uns der Vorstand die Mittel des Landesverbands verwaltet und verteilt, übernimmt in Nordrhein-Westfalen diese Aufgabe der Parteitag selbst. Der Parteitag teilt dem Vorstand, den Arbeits- und Projektgruppen ein Budget zu, unverteilte Beträge fallen den Crews zu. (§6 NRWFinanzO)

Weitere Spendeneinnahmen können ebenfalls den AGs, PGs und Crews zugute kommen:
§5 S 1 NRWFinanzO "Spenden können zur Verwendung durch eine Crew, AG oder PG gekennzeichnet werden."
Wer sich noch an das im Teil 1 skizzierte Bild erinnert: Diese drei Gruppen erhalten vom Satzungsgeber eine Sonderstellung, die ihnen Privilegien einräumt die dem Vorstand explizit nicht zukommen sollen. Denn der Vorstand soll nicht exklusiv über an ihn gerichtete Spenden verfügen.

Crews (und AGs, und PGs) entscheiden selbst über die ihnen zugewiesenen Mittel. (§4 Abs 1 Satz 1 NRWFinanzO) Der Vorstand erhält lediglich eine Mitteilung über die Entscheidung, hat also im Vorfeld explizit kein Mitspracherecht. (§4 Abs 1 Satz 2 NRWFinanzO) Nachdem die Entscheidung gefallen ist erhält der Vorstand immerhin ein stark eingeschränktes, enges Vetorecht um eine Ausgabe zu verhindern.
§4 Abs 3 NRWFinanzO "Der Vorstand kann einstimmig eine Ausgabe verhindern, wenn diese den Bestimmungen des Parteiengesetzes widerspricht. Er hat seine Entscheidung mit Begründung zu veröffentlichen."
Der Vorstand hat also nicht mal ein formales Prüfungsrecht ob der Crewbeschluss richtig zustande gekommen ist. Das ist also weniger als der Bundespräsident bei Gesetzesausfertigungen hat – und der hat eigentlich schon keine Entscheidungsgewalt. Für den seltenen Fall also in dem der Vorstand einstimmig eine Verletzung des Parteiengesetzes feststellt kann also eine Ausgabe verhindert werden. Hier hört leider der Satzungsgeber auf detailliert vorzuschreiben was passiert – denn wie dann die Rückabwicklung (des im Außenverhältnis möglicherweise bereits wirksamen Vertrages) stattfinden soll bleibt ein ungeklärter Konfliktfall.
Nutzt der Vorstand sein schmales Verhinderungsrecht nicht, so wirkt die Entscheidung der Crew gegenüber dem LV selbst. Der LV wird vertraglich verpflichtet, und die Ausgabe ist dem LV zuzurechnen.

Soweit jedenfalls die Theorie. Die man jetzt mal kurz auf Verträglichkeit mit Parteien-, Zivil- und Verfassungsrecht prüfen könnte. Und weil seit meinem letzten Blogpost der Marktwert von Konjunktiven in der Partei stark gefallen ist — machen wir das jetzt mal.

Möglichkeit des Vorstands Crewausgaben einstimmig abzulehnen



Das erste Problem lauert in Form des §15 Abs 1 PartG: "Die Organe fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, soweit nicht durch Gesetz oder Satzung erhöhte Stimmenmehrheit vorgeschrieben ist."
Und wenn wir die Experten mal fragen was darunter zu verstehen sein könnte, dann erfahren wir
Kersten/Rixen §15 Rn 7: "Qualifizierte Mehrheiten sind parteiengesetzlich nicht vorgesehen, aber auch nicht ausgeschlossen. Nicht zutreffend dürfte es aber sein, dieses Ergebnis mit der Überlegung zu begründen, das Parteiengesetz verlange lediglich die Einhaltung eines demokratischen Minimums. Denn dies setzte im Sinne einer qualifizierenden Einordnung voraus, dass höhere Mehrheitserfordernisse eine höhere demokratische Dignität besäßen. Das ist indes nicht der Fall. Demokratie bedeutet stets auch Variabilität, verlangt also die Möglichkeit, einer abweichenden Position zukünftig zur Durchsetzung zu verhelfen. In diesem Sinne bewirken qualifizierende Mehrheiten tendenziell eine Konservierung des status quo. (..)" (Hervorhebungen aus dem Originaltext)
Dass ein höheres Quorum nicht mehr Demokratie bedeutet haben bei uns noch nicht alle verstanden. Aber wie sieht es mit der super-demokratischen Variante Konsens oder Einstimmigkeit aus? Siehe da:
Kersten/Rixen §15 Rn 8: "(..) Der im Vereinsrecht möglichen satzungsmäßigen Festlegung eines Einstimmigkeitserfordernisses steht hingegen im Parteienrecht die ausdrückliche Beschränkung auf eine "erhöhte Stimmenmehrheit" entgegen. Damit ist es ausgeschlossen, einem einzelnen Mitglied satzungsrechtlich eine Vetoposition einzuräumen, die ein unverhältnismäßig großes Stimmengewicht im Verhältnis zur Mitgliederzahl bedeutete."
Ipsen §15 Rn 3 "(..) Ein Prinzip der Einstimmigkeit würde aber dem einzelnen Mitglied ein unverhältnismäßig großes Stimmengewicht im Verhältnis zur Mitgliederzahl geben, weil Einzelne eine Entscheidung stets verhindern könnten. Das Mehrheitsprinzip entspricht daher demokratischen Grundsätzen i.S.v. Art 21 Abs 1 Satz 3 GG."
Der eine hält also das Einstimmigkeitserfordernis für parteiengesetzwidrig, der andere für grundgesetzwidrig. Sieht nicht gut aus. Was passiert mit einer Satzung die gegen geltendes Recht verstößt? Dann gilt (frei nach Kersten/Rixen §6 Rn 24): Die Rechtsfolgen der Nicht- oder nicht vollständigen Erfüllung der Anforderungen des Parteiengesetzes regelt das Parteiengesetz nicht. Als Sanktion kommt grundsätzlich nur ein verweigerter Rechtserfolg in Betracht. Verstöße gegen zwingende Vorschriften des Parteiengesetzes führen demnach zur Nichtigkeit der entsprechenden Satzungsbestimmungen; an ihre Stelle tritt die einschlägige gesetzliche Regelung. In diesem Fall die ursprüngliche Regelung im §15 Abs 1 PartG, und es gilt
Kersten/Rixen §15 Rn 6: "Bei der Berechnung der Stimmenmehrheit ist in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung auf §32 Abs 1 S 3 BGB zurückzugreifen. Demnach kommt es prinzipiell (nur) auf die Stimmen der erschienenen Mitglieder/Vertreter an. Dabei sind grundsätzlich Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen nicht mitzuzählen. (..) Die einfache Stimmenmehrheit ist gegeben, wenn mindestens eine Ja-Stimme mehr als Nein-Stimmen abgegeben wird. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt. (..)"
Soviel zum Thema der Vorstand könne Ausgaben nur einstimmig ablehnen.

Einstimmigkeitsbeschlüsse - Teil II


Das Erfordernis eines einstimmigen Beschlusses findet sich noch an anderen Stellen in der NRW-Satzung. Eine davon ist die Entscheidungsfindung innerhalb von Crews:
§1 Abs 4 NRWCrewO: "Innerhalb jeder Piraten-Crew werden Entscheidungen grundsätzlich im Konsens im Rahmen eines Crew-Treffens durch die anwesenden Crew-Mitglieder getroffen."
Jetzt kann man natürlich (und völlig zu Recht!) einwerfen dass Crews ja nun keine Organe sind, und §15 PartG deshalb überhaupt nicht angewendet werden kann, aber:
Kersten/Rixen §15 Rn 5: "(..) Das allgemeinen demokratischen Überlegungen entsprechende Mehrheitsprinzip findet jedoch über den Wortlaut des Abs 1 hinaus auch bei allen anderen politischen Entscheidungsprozessen Anwendung, soweit nicht spezialgesetzlich oder satzungsrechtlich eine qualifizierte Mehrheit gefordert ist. (..)"
§15 Abs 1 PartG ist damit auch auf Crews anwendbar, egal wie diese im Sinne des Parteiengesetzes eingeordnet werden mögen oder nicht.

Vertretungsproblematik


Wenn Crews keine Organe sind drängt sich natürlich die Frage auf was – aus rechtlicher Sicht – Crews denn dann sein sollen. Die Organschaft jedenfalls scheitert bereits an den Bedingungen des §8 Abs 2 Satz 2 PartG "[Die Organe] sind in der Satzung ausdrücklich als solche zu bezeichnen." Crews sind auch keine Vertreterversammlungen oder Parteiausschüsse (§§13, 12 PartG).
Auch der Interpretation der Wirtschaftsprüfung dass eine Crew eine Mitgliedervereinigung nach §7 PartG unterhalb der niedrigsten Gliederungsstufe handelt kann ich mich absolut nicht anschließen. Zunächst handelt §7 PartG von territorial gegliederten Gebietsverbänden, es gibt jedoch keine räumliche Ordnung von Crews. So können Piraten aus mehreren verschiedenen Kreisverbänden eine gemeinsame Crew gründen. Zweitens wird der Zweck von Gebietsverbänden ins Gegenteil verkehrt: §7 Abs. 1 Satz 3 PartG fordert die Möglichkeit der angemessenen Mitwirkung an der Willensbildung in der Partei - Gebietsverbände haben kein Mitspracherecht wen sie in ihrer Mitte zulassen (vom Ersteintritt in die Partei abgesehen); Bei uns ist das auch explizit kodifiziert in §3 Abs 2a Satz 1 Bundessatzung: "Jeder Pirat gehört grundsätzlich der Parteigliederung an, in dessen Zuständigkeitsgebiet er seinen Wohnsitz hat." Abgeleitet wird das ziemlich direkt aus Art 21 Abs 1 Satz 3 GG. Das generelle Abschotten eines Verbands oder einer Partei gegen Neuankömmlinge ist sogar explizit verboten (§10 Abs 1 Satz 3 PartG), obwohl Außenstehende noch nicht einmal von Art 21 Abs 1 Satz 3 GG geschützt werden. Crews allerdings haben ein Abschottungsprivileg:
§6 Abs 2 NRWCrewO: "Die Crew entscheidet auf ihrem nächsten Crew-Treffen über diesen Antrag und teilt das Ergebniss (sic) dem Antragsteller ohne Begründung mit."
Die Crew selbst entschließt wer mitmachen darf und wer nicht. Das entspricht zwar wunderbar den Grundsätzen der Autonomie und Subsidiarität, widerspricht aber der Idee eines Gebietsverbandes in fataler Weise, da es so gerade möglicherweise 'unangenehmen' Leute nicht möglich ist sich auf dieser Ebene einzubringen. Davon ab müsste ich dann fairerweise auch auf die Satzungslosigkeit von Crews eindreschen (§6 Abs 1 Satz 2, u.u.A. Abs 2 Nr. 7 PartG, damit Folge der Unwirksamkeit sämtlicher Beschlüsse) - quasi meine Kernkompetenz, durch die ich mir in Bayern schon einen unrühmlichen Ruf erarbeitet habe. Nein, Crews sind keine Gebietsverbände und wollen auch keine werden.

Ich halte es für wahrscheinlich dass Crews Sonderorganisationen im Sinne des Parteiengesetzes sind, da ihre Existenz an die Partei gebunden sein soll, und sie durch ihre Zusammensetzung rein aus Parteimitgliedern eine definitive Parteinähe erhalten. Aber –man möge mich korrigieren– der Status 'Sonderorganisation' gibt den Crews noch keine Rechtsfähigkeit und keine definierte zivilrechtliche Stellung. Was ist eine Crew also aus Sicht von außen?

Eine Crew ist nicht die Partei und kein Gebietsverband. Dass sie kein eigenständiger Verein sein können erklärt sich bereits am Fehlen einer eigenen Satzung und, wenn man die LV NRW-Satzung irgendwie hineininterpretieren will, an der fehlenden Definition eines Vorstands. Die Crew als eigenständige juristische Person fällt damit generell aus.
Denkbar wäre noch dass es sich um eine GbR handelt. Zumindest könnte man den Versuch der Einstimmigkeitsregelung durch §709 I BGB sogar in diese Richtung deuten. Allerdings wäre dies schon ein abenteuerliches Konstrukt da die Gesellschaft ihr Vermögen komplett von außerhalb qua Existenz erhielte. Und ob die Gesellschafter/Crew-Mitglieder einen vertraglichen Bindungswillen hatten, insbesondere mit den Haftungsfolgen einverstanden sind, ist ebenfalls sehr fraglich. Wenn es sich nicht um eine GbR handelt dann kann ich es nur noch als eine lose, nicht selbst rechtsfähige Gruppierung nach Art 9 GG betrachten.

Worauf will ich hinaus?
Das aktuelle Modell sagt ja: Vertretung des LV durch die Crew. Die Vertretung richtet sich nach
§164 Abs. 1 Satz 1 BGB "Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen."
Da gibt es vier wesentliche Bestandteile, die alle erfüllt sein müssen um eine wirksame Vertretung hinzubekommen. Um mal (wissenschaftlich korrekt) aus Wikipedia zu zitieren:
  1. der Vertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab,

  2. es besteht rechtsgeschäftlicher Handlungswille,

  3. der im Namen des Vertretenen geschieht und

  4. der Vertreter handelt im Rahmen seiner Vertretungsmacht.


Nr 2 ist trivial. Nr 4 ist wohl durch die Satzung gedeckt (eventuell strittig, da z.B. die Gruppe der bevollmächtigten Personen nicht genauer bezeichnet ist, das habe ich aber nicht weiter geprüft. Sind ja schließlich nicht in einem juristischen Seminar). Nr 3 wurde wohl auch in NRW schon angesprochen, und wird auch in Bayern immer wieder zum kleinen Streitpunkt: Wenn Rechnungen nicht auf "Piratenpartei Deutschland Landesverband NRW" ausgestellt werden, dann handelte es sich um keine wirksame Vertretung, und nach §164 Abs. 2 BGB ("Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht.") wurde der vermeintliche Vertreter stattdessen selbst Vertragspartner, sprich der Vertrag hat dann mit der Partei und dem LV erstmal gar nichts zu tun. Persönliches Pech.
Bleibt als kritischer Punkt die Nr 1: Der Vertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab.

Der Crewnazi hat mal gesagt:
Rechtsgeschäfte zwischen Crews und Dritten sind nichtig

Da Crews keine Parteiorgane sind (man kann das nicht oft genug
erwähnen), dürfen sie keine eigenen Geschäfte abwickeln. Eine Crew
kann sich nicht nach außen in einem rechtsgültigen Geschäft
präsentieren; sie muss ein anderes Organ vorschicken. Was nun mit
Verträgen geschieht, die Crews in ihrem eigenen Namen geschlossen
haben, ist völlig offen. Theoretisch sind diese Geschäfte nichtig;
allerdings können etwaige Forderungen an die Partei bestehen bleiben.
Wie hier verfahren werden kann, muss das Verwaltungsgremium
entscheiden.

Wenn Crews nicht unter die Organschaft einer Partei fallen, wenn Crews unter keine der bekannten Definitionen von juristischen Personen fallen,
wenn Crews keine GbRs sind, dann sind Crews auch nicht rechtsfähig. Wenn Crews nicht rechtsfähig sind, dann haben sie keine Fähigkeit,
selbständig Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Insbesondere können sie keine Willenserklärung abgeben, schon gar keine eigenen.
Damit können Crews aber auch die Partei nicht vertreten, denn die Nr 1 einer wirksamen Vertretung war "der Vertreter gibt eine eigene
Willenserklärung ab"
. Crews können also meiner Meinung nach rechtlich überhaupt gar nicht nach außen auftreten.

Nach dieser Konstellation kann eine Crew zwar beschließen was sie will, aber der Vertragsschluss bleibt der Geschäftsführung des Verbands
vorbehalten, hier dem Vorstand.

Dementsprechend sehe ich die Tabelle des Crewnazis etwas anders, nämlich:
Tabelle: Geschäftsabwicklung und Kostenerstattung
Pirat (Einzeln oder Gruppe)Crew
… holt ein Angebot über einen (Kauf‑)‌Vertrag ein und fordert ohne weitere Vorleistung beim zuständigen Verwaltungsgremium die Abwicklung des Geschäftes an.
… schließt einen (Kauf‑)‌Vertrag (mit einem Piraten als Vertragspartner bzw. Rechnungsempfänger), zahlt selbst und reicht den Zahlungsbeleg dann beim Verwaltungsgremium zusammen mit einem Antrag auf Rückerstattung ein.
… schließt einen (Kauf‑)‌Vertrag (mit einem Parteiorgan als Vertragspartner bzw. Rechnungsempfänger), zahlt selbst und reicht den Zahlungsbeleg dann beim Verwaltungsgremium zusammen mit einem Antrag auf Rückerstattung ein.¹
… schließt einen (Kauf‑)‌Vertrag (mit einem Parteiorgan als Vertragspartner bzw. Rechnungsempfänger), zahlt nicht, sondern reicht die Rechnung dann beim zuständigen Schatzmeister zur Begleichung ein.²
… schließt einen (Kauf‑)‌Vertrag (mit einer Crew als Vertragspartner bzw. Rechnungsempfänger).
1 Mit Bevollmächtigung denkbar, aber nicht sinnvoll.
2 Ja, mit Bevollmächtigung.


Damit hat sich die Idee 'Crews geben selbsttätig Geld aus' für mich ohne weitgehende Crewreform so ziemlich erledigt. Und ich kann mir vorstellen dass Crewmitglieder, die erfahren dass sie selbst möglicherweise als Gesamtschuldner für von ihrer Crew eingegangene Verträge haftbar gemacht werden können, das ähnlich sehen...

Demokratiedefizit I


Demokratiedefizit? Jetzt spinnt er völlig.
Crews sollen ja gerade die Demokratie stärken und Entscheidungsprozesse näher an den einzelnen Piraten bringen. Wie um alles in der Welt kann das als undemokratisch angesehen werden?

Bayern ist ja ein etwas merkwürdiger Staat, besonders wenn man ihn von außen betrachtet. Überall hüpfen jodelnd irgendwelche komischen Gestalten in Lederhosen herum, sprechen eine Sprache die keine Sau versteht, und wählen mit ehemals absoluter Mehrheit eine Partei die keiner mag und bestehen überall auf einer Sonderbehandlung. Dafür ist man dort mit 2 Maß (das entspricht 10 norddeutschen 0,2l-Standard-Biergläsern) noch fahrtauglich, und bist du in der Partei so ist auch eine Trunkenheitsfahrt mit Todesfolge kein Hinderungsgrund für einen Ministerposten. Man liebt den Schadbär - nicht jedoch den Problembär - richtet hier und da elitär ein paar Blumen hin und rückt nebenbei den Hauptbahnhof München mit dem Transrapid in 10 Minuten näher an Bayern. Und man hat auch ein etwas anderes Demokratieverständnis. Dem Bayer ist die Ironie nicht zu schade zwar ins Land (mit wenigen historischen Ausnahmen) nur CSU-Ministerpräsidenten zu wählen, dafür in der Landeshauptstadt München (mit ebensowenig historischen Ausnahmen) nur SPD-Oberbürgermeister. Dies führt nun regelmäßig, beispielsweise in der Anstichzeit des Oktoberfests, in der der Oberbürgermeister Münchens das erste Bier dem Ministerpräsidenten zapft, zu diplomatischen Spannungen. Wenn es aber dann um Geld geht ist die Freundschaft komplett vorbei.

Und so kam der Freistaat vor ein paar Jahren auf die höchst steuersparende Idee: Bildung ist Ländersache, also führen wir das G8 (achtstufige Gymnasium) ein. Schulen sind Sachen der Kommunen, also sollen die doch für die nötigen Investitionen und Umbauten zahlen. Klingt aus seiner Sicht vernünftig.
Dummerweise hat der Bayer, der an sich nicht viel von den Großkopferten (mächtige, einflussreiche Person des öffentlichen Lebens, besonders aus den Bereichen Politik und Wirtschaft) hält, manchmal seine eigenen Ideen wie der Staat funktionieren soll. Und so hat er bereits 2003, und zwar gegen den Willen der damals mit absoluter Mehrheit regierenden CSU, per Volksentscheid einfach die Bayrische Verfassung geändert, und dort in Artikel 83 das Konnexitätsprinzip verankert. A Hund isser ja scho, der Bayer..:
Art 83 Abs 3 BV "Überträgt der Staat den Gemeinden Aufgaben, verpflichtet er sie zur Erfüllung von Aufgaben im eigenen Wirkungskreis oder stellt er besondere Anforderungen an die Erfüllung bestehender oder neuer Aufgaben, hat er gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen. Führt die Wahrnehmung dieser Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden, ist ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen."
In stark vereinfachten Worten: Wer anschafft, zahlt. Und gewappnet mit diesem Artikel führte sich die Stadt München ein wenig auf, drohte damit vor Gericht zu ziehen, schließlich musste das Land einlenken und selbst zahlen. Und der Bayer freut sich und wählt weiter die CSU ins Land und die SPD nach München. So funktioniert Politik in Bayern.

Auf Bundesebene gilt das Konnexitätsprinzip ebenfalls, es steht in Artikel 104a (insb. Abs 2) Grundgesetz: "Handeln die Länder im Auftrage des Bundes, trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben."

Die weniger vereinfachte Beschreibung des Konnexitätsprinzip sagt dass Aufgabenwahrnehmung und Ausgabenverantwortung auf derselben staatlichen Ebene liegen. Indem das Land den Kommunen vorgibt wie deren Geld verwendet werden soll, nimmt es die Aufgaben der Landes wahr, übergibt aber die Ausgabenverantwortung den Kommunen. Und verletzt damit die Selbstbestimmtheit der Kommunen, denn diese verlieren damit die direkten Mitbestimmungsrechte über ihre eigenen Mittel. Es gibt auch keine Legitimationskette von der Kommune zum Land, die dem Land irgendwelche Rechte übertragen könnte. Zwischen Land und Bund gibt es dafür ja immerhin noch den Bundesrat, der in Art 104a GG mehrfach gefragt wird.
Die Selbstbestimmtheit und die Konnexität halte ich für einen wesentlichen Freiheitsgrundsatz und für eine wichtige Voraussetzung für eine sinnvolle Demokratie. Könnte der Bund dem Land beliebige Kosten aufbürden, oder das Land der Kommune, dann wäre die Selbstbestimmtheit reine Makulatur, eine Scheinselbstbestimmtheit; Die Subsidiarität und die vertikale Gewaltenteilung an dieser Stelle ein Witz.

Im Landesverband Nordrhein-Westfalen ist das Konnexitätsprinzip umgekehrt verletzt: Die Kleinen, die Crews, schaffen an und entscheiden über den Geldfluss, aber das Land, beziehungsweise der Landesverband, wird in die Pflicht genommen und zahlt.
Gut, nun müsste man natürlich sagen: Ja, aber der Landesparteitag hat doch als höchstes Organ des Landesverbands mittels Satzung beschlossen dass Crews der Großteil der Mittel zufallen soll. Wir reden bei NRW so etwa über 56-67.000€ von 60-70.000€, also zwischen 93% und 95% der planmäßigen Gesamteinnahmen zuzüglich zukünftiger ungeplanter Einnahmen.
Und ja, genau das ist das undemokratische Problem. Denn zwischen Crews und dem Landesverband besteht ebenfalls in keine Richtung eine Legitimationskette. Der Landesverband hat bei den Crews kein Mitspracherecht was die Geldausgaben angeht, die Mitglieder des Landesverbandes (zum absoluten Großteil) auch nicht, und die Repräsentanten des Landesverbandes und seiner Mitglieder (nämlich der Vorstand) auch nicht. Ist der Landesverbands-Basispirat bei Crews antragsberechtigt? Nein, natürlich nicht. Ist der Landesverbandsvorstand bei Crews antragsberechtigt? Nein, natürlich nicht! Hat ein einzelnes Landesverbandsmitglied Möglichkeit der Teilhabe an den Crewmitteln? Nur wenn eine Crew entscheidet ihn aufzunehmen, nur solange der Basispirat aktiv teilnimmt, und auch dann nur an den Mitteln dieser einen Crew. Projektbezogene Finanzierung? Fehlanzeige. Größere Finanzierungen, zum Beispiel ACTA-Flyer (wobei eine Flyerbestellung nun wirklich nicht 'groß' ist)? Fehlanzeige.

So das Bild nach der 'wer anschafft, zahlt'-Definition. Wie sieht es denn mit der vollständigen Definition aus? Aufgabenwahrnehmung und Ausgabenverantwortung? Die Crew nimmt die Aufgaben wahr, natürlich. Trägt sie auch die Verantwortung? Nein, trägt sie nicht. Der Landesverband wird Vertragspartner, der Landesverband trägt den Verwaltungsaufwand, den Landesverband trifft die Rechenschaftspflicht und der Landesverband (vertreten durch dessen Vorstand, besonders durch dessen Schatzmeister) muss die Ausgabe gegenüber dem Bund, dem Bundesschatzmeister, der Wirtschaftsprüfung, dem Finanzamt und dem Bundestagspräsidium verantworten. Die Crew, die den betreffenden Beschluss gefasst hat, trägt keine Verantwortung. Nochmal: 95% der Mittel, 0% der Verantwortung. Das ist nicht Basisdemokratie, das ist Crewdiktatur!

Und deshalb halte ich das Crewmodell in der aktuellen Form, wie es demokratisch vom LPT NRW beschlossen wurde, für hochgradig undemokratisch.

Und wem die Beschreibung zu diesem Punkt zu abstrakt, zu akademisch, zu realitätsfern ist - im nächsten Teil kommt ein Demokratiedefizit II. Das wird konkret, realitätsnah, und unter die Haut gehen.

Verantwortung Formal


Der absoluter Knackpunkt der Geschichte, ein ungeliebtes Wort und verhasstes Konzept. Sind wir ehrlich: Parteitage sind schön. Mittels Kärtchen überall mitreden dürfen, und nirgendwo persönliche Konsequenzen befürchten. Aktives Wahlrecht ist immer toll.
Das passive Wahlrecht ist nicht mehr ganz so nachteilsfrei. Lässt man sich beispielsweise in einen Vorstand wählen, so kann man zwar erst recht überall mitreden, aber man muss – wenn man nicht den Aaron König macht – am nächsten Parteitag einen Rechenschaftsbericht abgeben. Und auch der übergeordneten Gliederung einen finanziellen Rechenschaftsbericht abgeben. Und als Vorstand sowieso jede einzelne Entscheidung vor der Basis vertreten können. Alles kann in Frage gestellt werden, und vieles wird in Frage gestellt.

Wie verhasst dieses Wort Verantwortung (hier genauer: Rechenschaft) ist, habe ich in der NRW-Vorstands-Mumblesitzung vom 1.6.2010 auf charmante Weise erfahren. Bernd Schlömer, seines Zeichens unser Bundesschatzmeister, hat bei mindestens 4 Gelegenheiten betont dass Crews bei eigentverantwortlicher Geldverteilung rechenschaftspflichtig werden. Das Wort -und das Konzept- 'Rechenschaft' hat es nicht in die Erstfassung des Protokolls geschafft. Irgendwie hat es jeder geschafft um die Aussage herumzuhören.

Was also heißt Rechenschaft? Wenn jemand einen anderen einen Auftrag erteilt, so wird der Auftragnehmer dem Auftraggeber auskunfts- und rechenschaftspflichtig. (Beispielsweise kodifiziert im §666 BGB, zu schön um ihn nicht zu zitieren) Diese Auftragserteilung ist nicht nur fallweise zu sehen, sondern auch in der generellen Form der Beauftragung, beispielsweise bei der Wahl von einem Vorstand beauftrage ich, beziehungsweise die Mitgliederversammlung, ihn den Verband zu vertreten und seine Geschäfte zu führen. Damit die Vertretung und Geschäftsführung stattfinden kann, gebe ich ihm ausserdem Mittel an die Hand. Das politische Mittel ist die Partei an sich (quasi 'der gute Name'), das Recht den Verband nach innen und außen zu vertreten und bindende Beschlüsse zu fassen. Und die finanziellen Mittel sind — naja, eben die finanziellen Mittel, das gesamte Vermögen. Auch einer Regierung übertrage ich beispielsweise Teile meiner natürlich zustehenden Rechte (z.B. das Recht Gewalt anzuwenden, aber auch das Legislativrecht generell, und Teile meines Eigentumsrechts beispielsweise für Steuern). Aus diesem Grund ist die Regierung, aber auch der Vorstand rechenschaftspflichtig. Letzterer eben dem beauftragenden Gremium, nämlich der Mitgliederversammlung — dem Parteitag.

Und selbstverständlich entsteht diese Rechenschaftspflicht nicht nur gegenüber dem Vorstand, sondern gegenüber allen vom Verband beauftragten Personenkreisen. Und damit auch gegenüber Crews. Denn auch wenn sie keine Vertretungsbefugnis haben, wird ihnen doch die Verwendung von Mitteln des Verbandes übertragen. Jetzt ist es, auch ohne das Ziel 'Transparenz' im Parteiprogramm stehen zu haben, eigentlich die Pflicht einer jeden Crew dem Landesparteitag Rechenschaft abzulegen. Insbesondere müssten aus Transparenzgründen auch viele Namen genannt werden. Beides geschieht derzeit natürlich nicht. Und beides ist etwas das bei einer Crewreform beachtet werden muss.

Verantwortung Inhaltlich


Nun etwas weg von der allgemeinen Rechenschaftspflicht, hin zum Inhalt der Rechenschaftspflicht über finanzielle Mittel. In der Partei umfasst diese prinzipiell eine korrekte Verbuchung aller Mittelbewegungen nach bestem Wissen und Gewissen - soweit denke ich ist das auch jedem klar. Dann allerdings kam die Frage auf ob denn eine Partei Geld völlig beliebig ausgeben darf. Die naheliegende Antwort ist: Ja, natürlich - ist ja schließlich unser Geld. Und auch wenn ich gefühlsmäßig mit dieser Aussage ein Problem hatte, konnte ich längere Zeit nicht genau beschreiben wo denn nun systematisch das Problem an dieser Aussage liegt. Es hat mich ein paar Stunden Recherche gekostet, und war mal wieder ein Lehrstück in Baum-vor-lauter-Wald-nicht-sehen. Und bedarf mal wieder einem kleinen Exkurs.

Parteien haben in Deutschland eine besondere Stellung. Es beginnt bereits mit der symbolischen Stellung im Grundgesetz: VOR dem Verfassungsgericht, VOR dem Präsidenten, VOR dem Bundesrat, VOR dem Bundestag, VOR der Ausgestaltung des föderalen Bund-Länder-Verhältnisses - Parteien folgen direkt auf die Grundrechte (Art 1-19) und die Definition des föderalen Rechtsstaates (Art 20). [Und Art 20a, dem grundgesetzlichen Äquivalent des in der Rechtsprechung unglaublich relevanten §90a BGB. Gut, Symbolik ist eben doch nicht alles.]

Politische Parteien sind nach §1 Abs 1 Satz 1 PartG ein "verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung", und – ein bekannter rheinlandpfälzischer Noch-Pirat wird mich dafür hassen – politische Parteien werden sogar dem harten verfassungsrechtlichen Kern des Grundgesetzes zugeordnet, und sind damit als integraler Bestandteil des Demokratieprinzips (Art 20 Abs 1, 2 GG) sogar von der Ewigkeitsgarantie, dem Art 79 III GG, geschützt. (Kersten/Rixen §1 Rn 11) Das Grundgesetz und auch das Verfassungsgericht heben politische Parteien, soweit sie Instrument für die politische Willensbildung sind, sogar in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution. Parteien sind aber keine Staatsorgane und keine Teile der Staatsorganisation. (Kersten/Rixen §1 Rn 17)

In der ursprünglichen Fassung stand im Grundgesetz einmal
Art 21 Abs 4 GG a.F.: "Sie [die Parteien] müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben"
Mit Wirkung zum 1.1.1984 wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und gegen die Stimmen der Grünen, der Absatz geändert:
Art 21 Abs 4 GG n.F.: "Sie [die Parteien] müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben."
Aus der damaligen Begründung (BT-Drs 10/697, S. 4) lässt sich die Motivation herauslesen:
Der Ausschuß teilt die Folgerung der Sachverständigen-Kommission, daß gerade wegen der Gewährung öffentlicher Mittel an die Parteien die Transparenz der gesamten Parteifinanzen verbessert werden muß. Dazu gehört vor allem, daß der Rechenschaftsbericht auch Auskunft über die Verwendung der Mittel gibt.
Herausragende Position verpflichtet auch zu Verantwortung. Und genau deswegen können Parteien einfach bereits dadurch, dass sie Parteien sind, von Anfang an ihr Geld nicht völlig frei verwenden. 1983 ging es hauptsächlich um Transparenzbemührungen. Damals hieß die staatliche Teilfinanzierung auch noch Wahlkampfkostenerstattung, und hatte damit eine implizite Zweckbindung. Der Name und die finanzielle Größenordnung änderte sich zehn Jahre später. Seitdem steht die Ausgestaltung und logische Folgerung so im Parteiengesetz:
§1 Abs 4 PartG: "Die Parteien verwenden ihre Mittel ausschließlich für die ihnen nach dem Grundgesetz und diesem Gesetz obliegenden Aufgaben."

§18 Abs 1 Satz 1 PartG: "Die Parteien erhalten Mittel als Teilfinanzierung der allgemein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Tätigkeit."
Dem Gesetzgeber war die Aussage klar genug, dass er selbst auf eine weitere Beschreibung verzichtete, und bei der Einführung des §1 Abs 4 PartG im Jahr 1994 nur "Die Regelung soll eine aufgabenentsprechende Verwendung der Mittel gewährleisten." notierte (BT-Drs 12/5774, S. 13).

Die Ausgaben der Partei müssen im Rechenschaftsbericht also zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen formal korrekt verbucht sein, und es muss sich inhaltlich um eine erlaubte Ausgabe handeln.
Natürlich kann eine Partei auch mal seinem Ehrenvorsitzenden ein Abendessen spendieren, oder seiner Jugendorganisation ein Sommerfest. Es kommt auf das Gesamtbild an.

Und das stellt jetzt den Landesvorstand vor ein interessantes Dilemma: Die Auslegung des §1 Abs 4 PartG kann jetzt dazu führen dass eine einzelne Ausgabe einer Crew an sich rechtmäßig ist, und damit per Satzung nicht abgelehnt werden kann. In der Gesamtschau aller Ausgaben, oder bereits mehrere solche Ausgaben gesammelt könnten aber nicht mehr rechtmäßig sein, und dann problematisch werden. Da 95% der Ausgaben über Crews laufen, kann der Vorstand auch nichts mehr großartig ausgleichen.
Aber die Verantwortung dafür trifft alleine den LV-Vorstand, besonders natürlich den LV-Schatzmeister. Die Crewmitglieder sind faktisch unangreifbar. Und jetzt muss man sich vor Augen führen wie die Verantwortungsschiene abläuft. Wenn also der worst-case eintritt, und die Parteienfinanzierung gekürzt wird, dann wird das dem Bundesvorstand mitgeteilt. Der wird dann etwas nervös und angefressen, und sich den entsprechenden Landesvorstand zur Brust nehmen. Der Landesvorstand kann nun weder sich selbst aus der Schusslinie nehmen, also dem Bundesvorstand zum Beispiel einen Kreisverband vor die Nase halten, noch die Verantwortung ihrerseits delegieren. Denn wenn überhaupt eine oder mehrere bestimmte schuldige Crews ausgemacht werden können (da es ja eben auf die Gesamtschau ankommt) dann wird es die betreffende Crew zu diesem Zeitpunkt entweder bereits nicht mehr geben, oder garantiert nicht mehr in dieser Zusammensetzung. Ob dann gegen einzelne Crewmitglieder vorgegangen werden kann bleibt ebenfalls wieder offen. Ordnungsmaßnahmen? Immerhin noch denkbar. Finanzielle Verantwortung oder gar zivilrechtliche Ansprüche? Eher nicht.

Und jetzt verlassen wir mal die hypothetische Ebene, und kommen auf die Realität zurück. Nachdem ich prinzipbedingt mich desöfteren auch mit aktuellen Bundesvorstandsmitgliedern unterhalte, und dabei auch mal das Thema der NRW-Crews auf den Tisch kam, wurde mir eine weitere Problemkomponente bewusst. Angenommen eine einzelne Crew baut selbständig genug Mist in finanzieller Hinsicht dass der Bundesvorstand aufmerksam wird. Was passiert? Der Bundesvorstand kann sich an die einzelnen Crewmitglieder wenden, die natürlich nicht gegen die NRW-Satzung verstoßen haben, und auch gemeinsam wohl schwer greifbar werden was Ordnungsmaßnahmen angeht. Oder er kann sich an den LV NRW wenden. Und in diesem Fall wird der erste Schritt der Landesverbandsvorstand sein, denn der hat seinen Kopf dank dem Rechenschaftsbericht ja für den Bundesvorstand schön komfortabel bereits in der Schlinge. Allerdings wird der Bundesvorstand auf lange Sicht keine Ergebnisse vom LV-Vorstand bekommen können, denn dieser ist ja an seine eigene Satzung gebunden. Und damit bleibt dem Bundesvorstand ja nichts anderes mehr übrig als gegen den Landesverband selbst vorzugehen. Und das bedeutet im schlimmsten Fall wenn NRW die Bundespartei gefährdet (und das sind jetzt nicht meine Worte) auch den Ausschluss des Landesverbandes.

Auch das ist eine Frage die der LPT NRW für zukünftige Satzungen berücksichtigen sollte: Ist es wirklich im Interesse des Landesverbands die Verantwortung Einzelnen abzunehmen und sich damit selbst als dankbares Opfer aufzustellen?

Zwischenstand



Ich würde sagen dass die Definition des jetzigen Crewsystems so unausgereift ist dass nichts anderes übrigbleibt als in genau die bekannten Fallen hineinzulaufen, und fehlerhaft damit umzugehen. Es spricht meines Erachtens nichts dagegen ein Crewsystem aufzumachen, aber es muss genau definiert werden wie weit die Befugnisse einer Crew gehen sollen, welche Rahmenkonstrukte dafür notwendig sind, und welche Verpflichtungen damit die Crews und deren Mitglieder eingehen müssen.

Denn so hart wie es klingt: Rechte ohne Pflichten gibt es nunmal nicht.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Crews in der Piratenpartei - Selbstverständnis NRW

Vor knapp über einer Woche wurde ich von einem Vorgesetzten genötigt Freund gebeten mal einen Blick ins schöne Nordrhein-Westfalen zu werfen. Denn da hätten die Piraten eventuell ein paar Satzungsfragen bei denen ich möglicherweise helfen könne. Naiv Hilfsbereit wie man ist, macht man das ja gerne. Ein Blick über den Tellerrand schadet bekanntlich nicht, und da wir in Bayern keine Crews haben schadet es erst recht nicht ein wenig die Idee und die Mentalität hinter dem Crewsystem zu verstehen. Ich möchte meine Erkenntnisse hier in einem Mehrteiler sammeln, und so auch anderen interessierten Piraten zur Verfügung stellen. Da absehbar ist dass das ganze etwas umfangreicher wird, geht es in diesem Teil erstmal nur darum was das von mir vermutete Selbstverständnis hinter den NRW Crews und ihr Verhältnis zum LV NRW angeht.


Zunächst zu meinem Verständnis: Es liegt nicht an mir das Crew-System in NRW (oder auch anderen Landesverbänden) pauschal als 'gut' oder 'schlecht' zu bewerten, allerdings will ich nicht behaupten dass dieser persönliche Aufsatz meine persönliche Meinung ausblendet. Schon gar nicht ist es meine Aufgabe den NRW-Piraten vorzuschreiben wie ihre Welt geregelt sein soll. Allerdings lasse ich es mir nicht nehmen auf (von mir so empfundene) Mißstände in der mir eigenen, zynischen Art hinzuweisen. Daher: Weiterlesen auf eigene Gefahr.



Teil 1: Selbstverständnis NRW
Teil 2: Status der NRW-Crews


Wie erwartet ging also mein erster Blick in die Satzung des LV NRW. Und meine erste Überraschung war der Umfang. Die Satzung des LV Bayern kommt mit ~19.000 Wörtern aus, NRW hingegen benötigt ~51.000. Ok, NRW hat ja auch wesentlich mehr Mitglieder - öhm eine größere Fläche - äh mehr Einwohner als Bayern. Aber gut - eine umfangreiche Satzung sagt für sich alleine noch gar nichts aus.

Die Piratensatzungen haben viele Gemeinsamkeiten. Das kommt natürlich daher dass sie meistens voneinander kopiert werden. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass sich schnell Satzungen zusammenschustern lassen - ein Nachteil dass Änderungen sich nur langsam verbreiten. Und so gibt es in der Satzung NRW ein paar typische Lacher, die einem in jeder anderen Piratensatzung auch begegnen. Aber in NRW wurden auch für mich ein paar neue Lacher eingebaut. Darauf muss man zwar nicht zwingend herumreiten, aber in der Gesamtschau halte ich das durchaus für relevant. Beispiel gefällig?
§3 Abs 3 S 1 NRWS "Ein Eintritt in den Landesverband Nordrhein-Westfalen der Piratenpartei Deutschland ergibt automatisch eine Mitgliedschaft in der Bundespartei und unterliegt sowohl den in § 2, Abs. 1 ff. genannten Einschränkungen wie auch zukünftigen von der Piratenpartei Deutschland beschlossenen."

Also davon ab dass mein Sprachparser hier schon verrückt spielt (zukünftig beschlossenen - öhm Punkt..? Beschlossenen was? Backtracking... Ach, Einschränkungen.), und die Wirksamkeit dieser Formulierung debattierbar ist, ist auch die Formulierung "§2 Abs 1 fortfolgende" eine äußerst humorvolle Umschreibung von, naja, "§2" eben.
§4 Abs 10 S 1 NRWS "Jeder Pirat ist jederzeit zum sofortigen Austritt aus der Piratenpartei Deutschland berechtigt (Schriftform und Unterschrift erforderlich)."

Und zwar nicht nur schriftlich, sondern auch noch unterschrieben! Wer sieht damit eventuell ein Problem? Zumindest ich würde §10 Abs 2 S 3 PartG "Das Mitglied ist jederzeit zum sofortigen Austritt aus der Partei berechtigt." mit der bewusst doppelten Formulierung ("jederzeit", "sofortig") so auslegen, dass die Austrittshürde (unnötig starke Formerfordernis) hier wegen Verstoß gegen das Parteiengesetz unwirksam wäre. (Zur Verdeutlichung: Wäre eine Formerfordernis der notariellen Beurkundung des Austrittswunsches nach §128 BGB ebenfalls zulässig?)
Aber was hat denn jetzt bitte Satzungseloquenz mit den Crews in NRW zu tun? Noch etwas Geduld, wir kommen dazu. Überspringen wir mal die ganzen traurig-lustigen Teile und kommen an den Kern der Geschichte:
§7 Nr 2 NRWS "Folgende Organe besitzt der Landesverband Nordrhein-Westfalen: (..) der Landesvorstand (LVOR)"

§9 Abs 1 NRWS "Der Landesvorstand vertritt die Piratenpartei Landesverband Deutschland Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesvorstand und führt die Geschäfte (..)."

...vertritt "vor dem Bundesvorstand"? Das ist eine höchst merkwürdige Formulierung, denn eigentlich ist ein Vorstand anders definiert. Mal weiter schauen.
§9 Abs 2 NRWS "Der Vorstand besteht aus mindestens 5 NRW-Piraten: Vorsitzender, 2. Vorsitzender, mindestens 2 Verwaltungspiraten, von denen einer als Finanzverantwortlicher gewählt wird, und politischer Geschäftsführer."

§9 Abs 6 S 2,3 NRWS "Die Sitzungen sind öffentlich für Jedermann. NRW-Piraten haben grundsätzlich Rederecht."

§9 Abs 7 S 1 NRWS "Der Landesvorstand entscheidet mit einfacher Mehrheit der anwesenden Vorstands-Piraten."

Allmählich zeichnet sich ein Bild ab. Diese Satzung ist eine typische Micromanagementsatzung. Jeder mögliche Fall wird vorgesehen, und unvorhergesehene Fälle werden in Zukunft hinzugefügt. Dass damit der Vorstand in der Handlungsfähigkeit beschränkt wird, wird entweder übersehen oder in Kauf genommen. Wenn alle Sitzungen per Definition öffentlich sind, können keine Personalfragen behandelt werden. Wenn grundsätzlich jeder Pirat Rederecht hat, dann können einige Wenige sämtliche Sitzungen stören. Wenn der Landesvorstand immer mit einfacher Mehrheit der Anwesenden beschließt, dann kann er nicht, dann DARF er nicht sich selbst höhere Quoren auferlegen*. Im LV Bayern ist zum Beispiel die Geschäftsordnung des Vorstands nur mit absoluter Mehrheit änderbar, Umlaufbeschlüsse erfordern ebenfalls eine absolute Mehrheit. In NRW zieht diese Formulierung schon allein die Möglichkeit von Umlaufbeschlüssen in Frage. ("der anwesenden", d.h. auch keine Vertretung zulässig?)
Sicherlich ist so eine Formulierung zulässig. Zumindest sagt sie viel über die Regelungswut den Regelungswillen des Satzungsgebers aus. Ob sie aber mit ihren Konsequenzen wünschenswert ist, ist eine andere Frage. Ein (ehrenamtlicher) Vorstand der nur per Zusammenkunft beschließen kann ist in jedem Falle träger als ein Vorstand der sich auch asynchron per E-Mail-Umlaufbeschluss einigen kann.

Und jetzt kommt das erste der beiden absoluten Highlights, die zum Verständnis des Crewsystems NRW zwingend begriffen sein müssen:
§9 Abs 8 NRWS "Die Aufgaben des Landesvorstandes sind in der Crewordnung definiert."

Der Landesvorstand ist kein Vorstand - zumindest soll er keiner sein. Der Landesvorstand ist eigentlich eine Crew. Eine besondere Crew, ja. Aber eigentlich ein primus inter pares, eine repräsentative Crew mit dem Namen 'Vorstand'. Die Crew eben, die NRW innerhalb der Partei gegenüber dem Bundesvorstand (§9 Abs 1 NRWS) vertritt. Deshalb ist es aus der Sicht des Satzungsgebers auch mehr als legitim dem Vorstand seine Arbeit genau vorzuschreiben. Ich würde Dir jetzt und hier eine Pause vorschlagen bis sich diese Erkenntnis gesetzt hat.

Dann folgt in der NRW-Satzung die Crewordnung, und auch hier gibt es spannende - nach der letzten Erkenntnis aber wenig überraschende - Klauseln:
§2 Abs 1 NRWCrewO "Crew-Treffen sind grundsätzlich öffentlich abzuhalten. Gäste sind dabei grundsätzlich erwünscht."

"Grundsätzlich" bedeutet für den Juristen nichts anderes als "regelmäßig", sprich es gibt Ausnahmen. Sekunde, - der Vorstand tagt ausnahmslos öffentlich (§9 Abs 6 S 2 NRWS), Crews aber nicht? Korrekt verstanden. Crews haben in dieser Hinsicht sogar mehr Rechte - oder wie ich sagen würde: mehr Handlungsfreiheit - als der Vorstand.
Exkurs: Das Recht der nicht-öffentlichen Tagung könnte zwar auch für Klüngelei mißbraucht werden, aber wer wirklich klüngeln will kündigt seine Sitzungen einfach nicht an - duh. Andererseits braucht der Vorstand die Möglichkeit sich nichtöffentlich zusammensetzen zu können, beispielsweise für Personalfragen (gut, sind wir bis auf Bundesebene vermutlich zu klein), Schiedsgerichtsfälle, und andere Gelegenheiten die sich eventuell spontan auftun können. Deshalb spreche ich von Handlungsfreiheit. Wenn die einzigen Alternativen die Nichtbehandlung, das Ausbreiten aller Dinge in der Öffentlichkeit oder die Umgehung der Vorschrift ist, dann ist die Vorschrift wirklichkeitsfremd. Die Protokollnotiz dass eine nichtöffentliche Sitzung zum Thema X stattgefunden hat ist allemal besser als keine Notiz. Eine Überreglementierung ist hier daher eher schädlich denn nützlich.

Und was sich bereits im VorstandsCrew-Alltag wiederspiegelt, gilt natürlich auch für finanzielle Aspekte - und das ist das zweite Highlight des heutigen Abends:
§1 Abs 7 NRWCrewO "Jede Piraten-Crew verfügt über ein eigenes Budget, welches durch die Finanzordnung geregelt wird."

§4 Abs 1 NRWFinanzO "Jede Crew, AG, PG und der Vorstand entscheiden eigenständig über die Ausgabe der Finanzmittel auf ihrem virtuellen Konto. Die Entscheidung ist den Verwaltungspiraten mitzuteilen."

§4 Abs 3 S 1 NRWFinanzO "Der Vorstand kann einstimmig eine Ausgabe verhindern, wenn diese den Bestimmungen des Parteiengesetzes widerspricht."

§6 Abs 2 S 1 NRWFinanzO "Der Landesparteitag entscheidet ebenfalls über die Zuteilung eines einmaligen oder monatlichen Betrages an den Vorstand."

§6 Abs 4 NRWFinanzO "Die freien Finanzmittel werden zu Beginn jeden Monats gleich auf die verbleibenden Monate des Geschäftsjahres aufgeteilt. Einer dieser Teile wird wiederum zu gleichen Teilen auf alle Crews aufgeteilt und ihren jeweiligen virtuellen Konten gutgeschrieben."

Sprich, der Vorstand wird vom Landesparteitag mit einem Budget ausgestattet. Überschüssiges Geld wird auf Crews aufgeteilt. Crews stehen finanziell besser da als der Vorstand, da sie zusätzlich von unvorhergesehenen Mehreinnahmen profitieren. Crews geben nach eigenem Beschluss im Namen des Landesverbands Geld aus. Dem Vorstand wird hier immerhin ein unglaublich schwaches Veto-Recht eingeräumt, allerdings auch nur für den Fall dass die Ausgabe dem Parteiengesetz widerspricht. Sprich wenn sich eine Crew aus ihrem Budget ein Aquarium, einen Hai und einen Laser (zur Montage auf letzterem) leisten kann und will, und die erforderlichen Kompetenzen besitzt - dann ist das durch, da Tierhaltung nicht dem Parteiengesetz widerspricht. Krasser gesprochen: Kauft die Crew 'Pflastersteine Ade' sich leere Flaschen, Benzin, Lappen und Piratenfeuerzeuge dann soll das ebenfalls ohne Einspruchmöglichkeit abgesegnet sein.

Zusammenfassend lässt sich soweit sagen: Der Satzungsgeber des LV NRW hat sehr viel Spaß mit Detailregulation. Davon ab wünscht er sich verhältnismäßig starke Crews, die formal zwar hinter (nicht: unter) einer Crew namens 'Vorstand' stehen sollen, aber faktisch weiterreichende Befugnisse haben soll als dieser.
Für den nächsten Teil, der auf die aktuellen Probleme in NRW sowie die Wahl eines Lösungsweges aus jenen Problemen eingehen soll, wird dieses Verständnis eine große Rolle spielen.

*Zu diesem Punkt gab es den berechtigten Einwand von einfachBen dass die Geschäftsordnung des Vorstands nach dem Wortlaut des §15 PartG ohnehin keine Gestaltungsfreiheit bezüglich des Abstimmungsquorums lässt. Entsprechende Passagen in den Geschäftsordnungen hätte damit lediglich symbolische Wirkung, in unserem Falle quasi als Absichtserklärung die Geschäftsordnung als (marginal) höheres Gut zu werten. Ob diese Ansicht korrekt ist und der Wortlaut des §15 PartG mit der Auslegung desselben nach Maßgabe des Art 21 Abs 1 S 3 GG übereinstimmt, oder ob diese Einschränkung ein zu großer Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte des Organs darstellt sei für heute dahingestellt, denn es tut an dieser Stelle nichts zur Sache.


Teil 1: Selbstverständnis NRW
Teil 2: Status der NRW-Crews