Donnerstag, 12. Dezember 2013

Warum ich die alternative Geschäftsordnung zur Europalistenaufstellung nicht einreiche

tl;dr: Weils nicht geht.

Ich twitterte gestern eine alternative Geschäftsordnung für die Europalistenaufstellung in Bochum.
Ich werde diese alternative Geschäftsordnung nicht einreichen. Warum nicht?
Alternative Geschäftsordnung für die Piraten Aufstellungs Versammlung PAV 2014.1 für die Liste zur Europawahl.

§ 1 - Kandidatenaufstellung

Jedes Parteimitglied darf sich als Kandidat aufstellen. Er hat sich dafür bis 12 Uhr bei der Versammlungsleitung schriftlich oder telefonisch zu registrieren.

§ 2 - Kandidatenvorstellung

Die Veranstaltungshalle wird geräumt. Stühle/Bänke/Tische etc. werden entfernt. In der Hallenmitte werden Wahlkabinen und kontinuierlich beaufsichtigte Wahlurnen platziert. An der Aussenwand der Veranstaltungshalle werden 20x20x20 cm Würfel platziert. Es werden soviele Würfel platziert, wie Kandidaten registriert wurden. Jedem Kandidaten wird ein Würfel zugelost.

Von 12:40 bis 16:00 Uhr darf sich jeder Kandidat auf seinem Würfel vorstellen. Er muss dabei auf dem Würfel stehen, und darf sich keiner technischer Hilfsmittel (Megaphon, etc.) bedienen. Solange der Kandidat auf dem Würfel steht und keine technischen Hilfsmittel benutzt, darf er alles unternehmen, was die Sicherheit des Parteitages nicht beeinträchtigt.

Leute, die nicht auf einem Würfel stehen, dürfen nicht schreien. Dies gilt als Störung der Versammlung. Bei wiederholter Verwarnung können sie bis um 16:00 Uhr vom Saal verwiesen werden.

§ 3 - Kandidatenwahl

Die Urnen werden um 12:30 Uhr leer vorgezeigt und verschlossen. Ab diesem Zeitpunkt müssen an jeder Urne stets mindestens 3 Wahlhelfer oder -leiter sitzen. Der Wahlgang wird um 12:40 Uhr eröffnet und um 16:15 Uhr geschlossen.

Stimmzettel werden an der Akkreditierung ausgegeben. Bei jedem Kandidat kann eine Wertung (-10 bis +10) vergeben werden. Eine Wertung von < 0 zählt (ungeachtet des Zahlwertes) als Ablehnung, eine Wertung > 0 (ungeachtet des Zahlwertes) als Zustimmung, eine Wertung = 0 als Enthaltung.

Ein Kandidat ist auf die Liste gewählt, wenn er mehr Zustimmungen als Ablehnungen enthalten hat.

Die Reihenfolge der Listenkandidaten ergibt sich aus der Summe der Zahlwerte der Wertungen in absteigender Reihenfolge.

Die Aufstellungsversammlung wird um 16:30 Uhr bis zum nächsten Morgen, 11:00 Uhr unterbrochen. Die Wahlzettel werden ausgezählt. Die Würfel werden eingesammelt.

§ 4 - Listenzustimmung

Am nächsten Morgen um 11:00 Uhr wird das Ergebnis der Wahl verkündet. Die Liste wird per Handzeichen mit einfacher Mehrheit bestätigt. Um 11:15 Uhr gehen alle nach Hause. Kandidaten dürfen ihren Würfel mitnehmen.

Der Vorschlag ist nicht ernstgemeint

Nein, ganz im Gegenteil.
Ich sehe nicht ein wieso eine Versammlung sich von einzelnen Leuten treiben lassen muss. Natürlich darf jeder kandidieren. Auch der aussichtsloseste Parteiaussenseiter, der selbst die Wahl zum Ortsschatzmeister schon mindestens einmal verloren hat, darf sich aufstellen. Und natürlich darf auch jeder Fragen stellen. Auch der nette S21-Witzbold von nebenan. Aber ich sehe nicht ein, dass diese beiden Leute die gesamte Versammlung bespaßen müssen. Ich würde die beiden Leute nur gerne zusammen in ein Eck der Versammlung stellen und sich untereinander unterhalten lassen.
Unsere Versammlungen sind jetzt schon mehr Basar als Kathedrale. Die Leute, die nicht Fragen nach S21 stellen, nicht spaßkandidieren und nicht in der Orga tätig sind, sind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit draußen beim Rauchen, beim Interviews geben, oder unterhalten sich vor oder in der Halle. Warum also überhaupt so tun als ob wir ein Klassenzimmer wären, wo die Musik vorne spielt?
Was genau wäre verloren wenn die Versammlung sich weg von einem Lehrervortrag hin zu einer Kandidatenschau wandelt? Ja, die tolle Rednerschlange wäre weg, die tollen GO-Anträge wären weg und die tolle S21-Frageurne wäre weg. Also keine Profilierung der Teilnehmer mehr. Wie tragisch.
Der Vorschlag ist ernstgemeint.

Würfel? Srsly?

Es wurde eingewandt die Würfel wären zu klein und nicht barrierefrei. Überraschung: Die Würfel sind nicht der Witz der GO. Die sind verhandelbar. Woher die Würfel kommen? Also ausser von 'The Power of Three' kam diese Inspiration von den Yeoman Warders (1. Bild; links und rechts oben). Wenn du zu einer Gruppe Leuten reden willst, und die was hören sollen, dann solltest du geringfühig höher stehen.
Fürs Konzept isses egal. Rollstuhlfahrer bekommen eine erhöhte Plattform mit Rampe. Andere meinetwegen eine Plattform mit Stuhl drauf. Und wenn für jeden Kandidaten ein Quadratmeter gekennzeichnet wird, und sie ihre eigene Flipchart mitbringen können ists mir auch egal. Kernpunkte sind: Parallele, gleichwertige Vorstellung aller Kandidaten mit gleichen Spielregeln, ein Wahlgang. (Eine mitgebrachte Flipchart oder sogar Posterwand fällt unter 'gleiche Spielregeln'. Auch wenn Spontankandidaturen benachteiligt werden. Die könnten sich ja noch eine per Kurier kommen lassen.)

Es skaliert nicht

Der begrenzende Faktor ist die Zeit. Wenn jedem Kandidaten 10 Minuten Zeit (Vorstellung und Fragen - schon sehr knapp bemessen) eingeräumt werden, und 10% Verschnitt für Parteitagsorga draufgeht (utopisch wenig), dann kann ein 2-tägiger pausenfreier (utopisch) 10-Stunden-Parteitag (utopisch) 109 Kandidaten vorstellen (ohne zu wählen).
Die Halle in Bremen war 75 Meter lang, 54 Meter breit, hat also (75+54)*2 Meter 'Rand'. Bei 1 qm pro Kandidat wären damit 254 Kandidatenplätze möglich, Ein-/Ausgänge und Bühnenbereich noch nicht abgezogen. 254 Kandidaten entsprächen 5 Tage Parteitag. Doch, es skaliert. Was wir momentan machen skaliert nicht.

Das beschriebene Wahlsystem ist nicht perfekt

Interessiert mich nicht. Ich habe lediglich ein realitätsnahes Wahlsystem skizziert, das die einzige für mich relevante Voraussetzung erfüllt: Ein einzelner geheimer Wahlgang zur Listenaufstellung. Keine Vorauswahl, Wahl, Reihenfolgebestimmungswahl, oder ähnliches Gedöns. Wie genau das klappt ist mir relativ egal. Wie lange das auszählen dauert ist mir relativ egal (solange es binnen einer Nacht klappt). Am nächsten Tag kann dann man gerne die ganze Liste nochmal abstimmen und irgendwelche nötigen Stichwahlen auflösen sofern noch jemand Lust hat. Die 'perfekte Wahlmethode'-Diskussion langweilt mich jetzt schon, und wird auf der Aufstellungsversammlung auch noch alle anderen langweilen.

Niemand kann 3.5 Stunden an einem Ort stehen

Dann ist das so. Aber dafür können die Leute ja auch Stuhl-auf-Plattform haben :)
Es kommen aber auch nicht alle Teilnehmer gleichzeitig zu einer Kandidatin, selbst dann nicht wenn sie gerade Mittagspause macht. Illusorisch wäre es auch zu glauben dass bei ihrer konventionellen Vorstellung in der Versammlung alle Teilnehmer in der Halle wären und ihr zuhören würden. Leg einen Zettel hin mit "Zurück um 13:45 Uhr" und alles ist gut. Dasselbe Problem haben übrigens alle Kandidaten. Es sind deshalb 3.5 Stunden damit jeder Gelegenheit hat überall hinzuschauen. Und wenn der Parteitag diszipliniert wäre und um 8 Uhr anfangen könnte, dann würde ich da auch 8 Stunden drausmachen. Dann hat auch jeder Kandidat mal Gelegenheit rumzugehen und die anderen Kandidaten anzuschauen.

Ohne Versammlungsleitung geht es nicht

Selbstverständlich braucht eine Aufstellungsversammlung eine Versammlungsleitung. Auch eine Kandidatenmesse. Die Versammlungsleitung muss dafür sorgen dass die Kandidatenvorstellung fair (also dass Kandidaten in ihrer Vorstellung nicht behindert werden, und nicht die ihnen zugewiesenen Grenzen überschreiten) und ordentlich (Keine Handgreiflichkeiten, Störer müssen aussetzen) bleibt. Das ist kein einfacher Job. Hat aber auch keiner behauptet. Und ausserhalb der offenen Kandidaturvorstellung macht die Versammlungsleitung das, was sie immer macht.

Der Bundeswahlleiter lässt es nicht zu

Weil eine Versammlung immer einen Focuspunkt braucht. Diese Kritik kam witzigerweise von einem Proponenten des Basisentscheides, der andersrseits eine Versammlung per Post mit Parteitagsprivilegien ausrüsten möchte. Ich nenne diese Haltung mal neo-konservativ (im Wortsinne)-bedenkenträgerisch. Ist eine 100.000€-Versammlung der richtige Platz für Experimente? Wenn wir keine Experimente wöllten, hätten wir einen Delegiertenparteitag. Was also wird der Bundeswahlleiter sagen? Na man könnte ihn ja einfach fragen. Ach ne, er würde eh nicht antworten. m) Tolle Wurst. Also lieber stattdessen den AV-Faustkeil optimieren.
Nein, auch das ist nicht der Grund warum ich die GO nicht einreiche. Warum also nicht?

Die Strategie ist gut. Die Logistik fehlt.

Das ist das Kernproblem. Bist du am letzten Bundesparteitag am Samstag morgen in die Parteitagshalle gegangen und hast dich hingesetzt? Schonmal gefragt wo die ganzen Stühle, Tische und Switches herkamen? Das wird jetzt reichlich überraschend kommen, aber die hat jemand da hingestellt. Und einen Saal für 1.000 Leute bestuhlt man nicht am Samstag morgen und auch nicht am Freitag abend. Umgekehrt läuft das genauso. Die Stühle verschwinden nicht einfach spurlos am Sonntag Nacht ins Nichts. Selbst mit gutgemeinter, chaotischer Schwarmhilfe, wie am letzten Bundesparteitagssonntag, dauert es Stunden bis die Halle leer ist. Arbeitssicherheit und Verletzungsrisiken nicht einkalkuliert. Und die Kandidatenplattformen müssen auch noch irgendwoher kommen.

In anderen Worten: Ist der Saal einmal bestuhlt, dann kann dieses Konzept aus rein praktischen Gründen nicht mehr angewendet werden. Und andersrum genauso: Ist der Saal einmal leer, kannst du eine reguläre Versammlung nur noch auf dem Fußboden abhalten. Wenn wir also jetzt entscheiden würden dieses Modell für die Aufstellungsversammlung einzusetzen, dann hätte die Versammlung nur noch die Wahl zwischen 'so machen' und 'neue AV'.
(Eine am-Rand-freilassen-Bestuhlung halte ich für unpraktisch, weil dann die Halle nur noch ein großer Aufenthaltsraum wird. Leute sollen sich untereinander lieber draussen unterhalten, und drinnen Aufstellung machen. Indem ich drinnen für die Teilnehmer keine Sitzgelegenheiten gebe, forciere ich das.) Zusätzlich: Die Europalistenaufstellung soll zeitgleich/verschränkt mit einem Bundesparteitag stattfinden. Wenn wir jetzt nicht gerade 2 verschiedene Hallen zur Verfügung haben, dann seh ich nicht wie das passieren können soll. Und darum werde ich das jetzt nicht beantragen.

1 Kommentar:

  1. Wenn ich schon die Ehre habe, dass meine Tweets hier verlinkt sind, und ausgerechnet mir "Neokonservatismus" vorgeworfen wird, stelle ich hier in mehr als 140Z klar:

    Ich finde die Idee des Kandidatenbasars sympathisch, glaube aber auf Grund meiner Erfahrung mit Wahlleitern, dass uns das um die Ohren fliegen würde, und am Ende keine Europaliste stünde und somit 100K EUR verbrannt wären.
    Deswegen hatte ich dich, der sicher viel mehr Urteile zu dem Thema kennt, gefragt, ob du irgendwelche Präzedenzfälle bzgl. Versammlungscharakter kennst, die man dem Wahlleiter zur Rechtfertigung vorlegen könnte.
    Wenn ich mir mit dem Versammlungscharakter absolut sicher wäre, würde ich dann fragen?
    Aus Fragen also bitte nicht Behauptungen machen.

    Zum Vergleich von Äpfel und Birnen bzw. Aufstellungsversammlung und Basisentscheid:
    Eine Aufstellungsversammlung unterliegt den teils sehr strengen Wahlgesetzen,
    die innerparteiliche Willensbildung dem Parteiengesetz.
    Ich argumentierte im verlinkten SÄA004, dass der Basisentscheid oder SMV eben keine Versammlung sind,
    und dass die Beschränkung von gewissen Entscheidungskompetenzen auf Versammlungen (Parteitagsvorbehalt) durch das PartG
    Parteien über Gebühr in ihrer Gestaltungsfreiheit (Art 21 GG) einschränkt.

    Was hält dich also davon ab, beim Bundeswahlleiter zu fragen, oder alternativ die volle Verantwortung zu übernehmen, wenn die Orga die Logistikprobleme lösen kann?

    AntwortenLöschen