Disclosure Statement: Der Autor ist nicht links, nicht rechts, sondern sitzt seit etwa 2 1/2 Jahren dem Bundesschiedsgericht der Piratenpartei Deutschland vor. Zwar hat er kein besonderes Hühnchen mehr mit irgendwelchen Vorständen zu rupfen, aber andererseits hat er sich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Er erwartet ohnehin schon lange nicht mehr, dass sich nach einer kurzen Empörung irgendetwas ändern würde. Zudem sind die hier vorgestellten Zahlen unabhängig davon, wer gerade das Ruder in der Hand hat.
Lesezeit: ~20 Minuten. Tl;dr: Mitgliederschwund, aber keine Konsolidierung und keine Wiedereintrittswelle. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.
"Ich wurde heute auch gefragt ob wir einen Exodus an Mitgliedern haben, also einen dramatischen Mitgliederschwund. Das kann ich so nicht sehen. Wir haben seit Jahresanfang 700 Mitglieder die ausgetreten sind, 500 Mitglieder die eingetreten sind. Das ist zumindest das was ich von der Bundesgeneralsekretärin an Zahlen bekommen hab aus unserem Mitgliederverzeichnis. Und das zeichnet jetzt irgendwie nicht das Bild von 'alle laufen weg'." Stefan Körner, Vorsitzender des Bundesvorstands, 22.09.2014
Wie steht es um die Piratenpartei, genauer ihre Mitgliederzahlen? Warum schreibt die böse Presse aktuell von einem Mitgliederschwund? Wie ist es vereinbar, dass gefühlt die Leute reihenweise austreten, Parteigremien und -positionen handlungsunfähig, unter- oder gar nicht besetzt sind, wenn doch alles in Ordnung ist? Nicht nur ist alles in Ordnung – Nein! – die Rede ist sogar von einer Wiedereintrittswelle, einem Mitgliederzuwachs, sogar einer Steigerung der Zahl der Aktiven um 5% seit der Wahl des neuen Bundesvorstands. Und von einem Mitgliederschwund könne gar nicht die Rede sein, es handele sich bestenfalls um eine Konsolidierung der Mitgliederdatenbank, da es so viele Nichtzahler gibt.
Ich möchte euch in diesem Blogpost zeigen, wie diese Aussagen miteinander vereinbar sind, warum man aus denselben Zahlen so unterschiedliche Schlüsse ziehen kann, und wie es wirklich um die Zahl der Parteimitglieder bestellt ist.
Mitgliederschwund? Irrelevanter Graph von Fantasiedaten? Indiz einer Systempresseverschwörung? Quelle
Dafür müssen wir aber zunächst klären was wir meinen wenn wir von "Mitgliederzahlen" reden.
Prinzipiell müsste die Welt doch ganz einfach sein: Es gibt 7 Milliarden Menschen auf dem Planeten. Jeder Mensch ist entweder Mitglied in der Partei, oder nicht. Wunderschön digital. Drinnen oder draußen. Piraten lieben es einfach. Es gibt also zwei Populationen. Um von außen reinzukommen, muss man einen Antrag ausfüllen und den Mitgliedsbeitrag zahlen. Um von innen rauszukommen muss man austreten oder rausgeworfen werden. Nur ist die Realität natürlich nicht so einfach; es gibt noch einen dritten Status: den Nichtzahler. Das sind Mitglieder, die mindestens 3 Monate mit ihrem Mitgliedsbeitrag in Rückstand sind. Um Nichtzahler zu werden, muss man Mitglied gewesen sein, und dann, wie der Name sagt, nicht zahlen. Wenn man dann zahlt wird man wieder Mitglied, und wenn man lang genug nicht zahlt, wird man irgendwann rausgeworfen. Piraten lieben es eben auch kompliziert.
Mit diesem Wissen sollte nun die Frage "Wieviele Mitglieder hat die Partei?" ziemlich einfach beantwortbar sein. Und diese Frage wird auch regelmäßig beantwortet. In jeder Bundesvorstandssitzung (z.B. auf der vom 11.09.2014, Zeile 100) wird die Zahl der Mitglieder verkündet. Ich nenne diese Mitgliedermenge mal M.
M ist definiert als die bundesweite Zahl aller Mitglieder, eingeschlossen alle Nichtzahler. Für M haben wir die beste Datenbasis, mit Werten zurück bis 2006. Zeichnet man M auf, ergibt sich folgendes Bild:
Es ist offensichtlich, dass es mit M bergab geht. Am 09.01.2013 war M = 33,570, am 05.01.2014 war M = 29,601, und am 23.09.2014 war M = 26,276. Es braucht kein Genie um festzustellen dass M im Vorjahr um 3,969, und in diesem Jahr sogar noch etwas schneller, um 3,325 gefallen ist. M berücksichtigt unterjährige Eintritte und explizite Austritte. Laut M hat die Piratenpartei im Jahr 2014 absolut 3,325 Mitglieder verloren. Akzeptiert man M als aussagekräftige Zahl, dann muss man sich einen dramatischen Mitgliederschwund eingestehen.
Dazu ist man natürlich nicht bereit. Also muss etwas mit M nicht stimmen. Und völlig klar: M beeinhaltet auch die Nichtzahler. Also die, die nie wirklich eingetreten sind. Die, die keine Beiträge zahlen. Die, die mal jemand anmahnen müsste. Aber eben auch die, die sich ohne eine explizite Austrittserklärung verabschieden. Entsprechend wird also argumentiert, dass M eine irrelevante Messgröße sei: Es komme schließlich auf die Zahl der zahlenden Mitglieder an.
Also definieren wir die Mitgliedermenge S als die bundesweite Zahl aller stimmberechtigten (zahlenden) Mitglieder. Mit S wird es schwieriger. Es gibt keine regelmäßige Veröffentlichung dieser Zahl. Sie wird grundsätzlich nur um Parteitage herum thematisiert. Es gibt wenige historische Werte auf Bundesebene, und einige, aber auch wieder nur vereinzelte, Messpunkte auf Landesebene. Für den Zeitraum vor November 2012 gibt es überhaupt keine Daten. S verhält sich auch weniger schön als M. S hat einen deutlichen Jahreszyklus: Am Anfang jedes Jahres geht S auf ein Minimum, da viele Mitglieder noch nicht bezahlt haben. Anschließend steigt S über das Jahr langsam und stetig, oder, wenn Parteitage stattfinden, durchaus auch mal sprunghaft. Alleine eine Zunahme von S bedeutet deshalb natürlich nicht, dass plötzlich mehr aktive Mitglieder da wären. Parteitage sind über das Jahr verstreut, und nie an denselben Terminen. Jahresendwerte für S sind nicht herauszufinden, obwohl sie aus der Mitgliederdatenbank herauslesbar sein müssten. In den Rechenschaftsberichten (welche zu finden eine separate Herausforderung darstellt) taucht sie nicht auf. Eine offizielle Statistik gibt es nicht. Eine offizielle Grafik gibt es nicht. Nur dank der unermüdlichen Arbeit von einigen wenigen, die die historischen Daten für M und S zusammengetragen haben, kann man auch diese darstellen. Und weil diesen Schritt bisher noch niemand gemacht hat, gibt es hier – als exklusive Erstveröffentlichung – die Entwicklung von S:
Die wilde Auf- und Abfahrt von S ist klar zu erkennen. Auch der langsame unterjährige Anstieg ist schön sichtbar. Und auch einige Bewegungen, die eigentlich nicht sein dürften: Zum Beispiel sind bis Mai 2013 sehr viele, sehr starke Abwärtssprünge zu sehen. Der Mitgliedsbeitrag ist am Jahresbeginn fällig, und ein Mitglied kann kaum während des Jahres in Verzug kommen. Wenn S sich nach unten bewegt, dann eigentlich nur durch Austritte. Aber Austritte in dieser Größenordnung? Ob das diese Konsolidierung ist? Die Korrektur eines Mitgliederfehlbestandes? Da M sich nicht mitbewegt hatte, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass erst ab diesen Zeitpunkten geprüft wird ob ein Mitglied überhaupt stimmberechtigt ist, und die Anlaufschwierigkeiten sich in der Grafik niederschlagen. Um November 2013 ist nochmal ein Ausreisser nach unten zu sehen. Der Grund hierfür liegt im Landesverband Niedersachsen. Zeitweise wurden dort lediglich 50 stimmberechtigte Mitglieder geführt, anstatt der sonst angegebenen ca. 1,200 Mitgliedern. Daher die punktuellen Abstürze. Berücksichtigt man diese Effekte, kann folgendes abgelesen werden:
Da S sich über das Jahr entwickelt, macht es keinen Sinn die absoluten Werte von S unterjährig zu vergleichen. Stattdessen kann man sich an die Jahresendwerte halten. Ausgehend von der, ab der 2. Jahreshälfte 2013 sichtbaren, essentiell linearen Entwicklung von S und der bisherigen Entwicklung von S im aktuellen Jahr, kann man für den 31.12.2014 S = 10,543 vorhersagen (in schwarz angezeichnet). Das klingt auch durchaus realistisch, insbesondere da weder große Wahlen noch ein weitere Bundesparteitag ansteht. Am 30.12.2013 war S = 12,912. Das entspräche einem Mitgliederschwund von 2,369 stimmberechtigten Mitgliedern im Jahr. Laut der S-Prognose hat die Piratenpartei in den ersten 9 Monaten des aktuellen Jahres also 1,777 stimmberechtigte Mitglieder verloren.
Nun sind Voraussagen immer unzuverlässig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. In der freien Wirtschaft hat man das auch schon gemerkt, und den Periodenvergleich erfunden (in blau angezeichnet). Ausgehend vom letzten Messwert S = 9,053 am 23.09.2014 und S = 11,624, dem Wert vom 23.09.2013, muss man von 2,571 verlorenen Mitgliedern im Jahresmittel ausgehen, das entspräche einem Abgang von 1,928 stimmberechtigten Mitgliedern in diesem Jahr.
"Es ist in der Tat eine Forderung die öfter an die Verwaltung herangetragen wird, dass wir unsere Mitgliederzahl mal konsolidieren, eben weil wir eine Zahlerquote von 34% haben. Natürlich kann man mir jetzt einen Strick draus drehen, wenn ich sage, die Austritte sind alle dieser Konsolidierung zu verantworten, aber das ist tatsächlich ein Ziel auf das die Verwaltung hinarbeitet."
Stephanie Schmiedke, Bundesgeneralsekretärin, 22.09.2014
Vielleicht kommt ja noch der Konsolidierungsprozess. Nichtzahlende Mitglieder werden angemahnt, dadurch reaktiviert, die Abweichungen zwischen M und S minimiert und die Parteikasse gefüllt. Wenn wir aber die Zahlen für M und die Zahlen für S haben, dann sollte der Konsolidierungsprozesses doch wunderbar in der historischen Zahlerquote S geteilt durch M sichtbar werden:
Tja. Die Piratenpartei arbeitet seit vielen Jahren am Konsolidierungsprozess. Wirkliche Fortschritte gibt es nicht. Ja, die Zahlerquote steigt; sie kann aber auch nicht anders. Für eine fallende Zahlerquote müsste S fallen oder M steigen und S gleichbleiben. Beides ist nicht möglich: S fällt nicht (wie schon beschrieben), und wenn M steigt, dann steigt S um die gleiche Zahl, da Neumitglieder ihren Beitrag zahlen müssen. Im historischen Rückblick des Konsolidierungsprozesses wurde am 23.09.2014 (34.4% Zahlerquote) erstmals im Jahr der Stand vom 10.07.2013 (34.4%) erreicht. Wir hinken also im Jahresvergleich mehr als 2 Monate hinterher. Im Gegensatz zu 2013 steht aber kein Bundesparteitag mehr an. Der Konsolidierungsprozess bedarf entweder dringend selbst einer Konsolidierung, oder er ist einfach nur ein Wunschtraum.
Drei verschiedene Methoden, alle basierend auf offiziellen Zahlen, zeigen also jeweils einen Abgang von 3,325 Mitgliedern (M), beziehungsweise 1,777 (S-Prognose) und 1,928 (S-Periodenvergleich) stimmberechtigten Mitgliedern. Der Bundesvorstand hingegen stellt einen Abgang von 200 Mitgliedern fest. Die kritische Basis vermutet sogar ein Pressemärchen. Wie passt das zusammen?
Ich vermute drei überlappende und sich gegenseitig bedingende Ursachen.
Irreführung
Die veröffentlichten Mitgliederzahlen sind irreführend. Die Praxis zwei Zahlen zu veröffentlichen ist zwar grundsätzlich in Ordnung, führt aber zu Folgeproblemen. Im Wiki werden uralte Zahlen verbreitet. Nur M wird regelmäßig auf Bundesebene veröffentlicht, ist aber eine ungeeignete Metrik. Eine regelmäßige Veröffentlichung von S gibt es nicht. Schlimmer noch, S lässt sich meist nur aus alten Landeswerten zusammensetzen, Bundeswerte gibt es nur wenige Male im Jahr. Wenn es diese Werte gibt, dann werden sie bei Bedarf herausgegeben. Einen verlässlichen Jahresendwert gibt es nicht. Wer 'Irreführung' für ein unpiratiges Wort (was auch immer das sein mag) hält, der möge stattdessen 'Intransparenz' lesen.
Selbstbetrug
Diese Praxis der Zurückhaltung von Information (und ich unterstelle keine Absicht, sondern stelle nur fest was passiert) ermöglicht Selbstbetrug. Die Mitgliederzahlen fallen? Dann sind es falsche Zahlen. Oder veraltete Zahlen. Oder sie fallen möglicherweise, aber es gehen ja nur die Nichtzahler. Oder sie fallen gar nicht, weil ja Effekte X, Y und Z nicht berücksichtigt sind.
Dummerweise hört dann gerade hier die kreative, widersprechende Kritik auf. Hier müssten die eigentlichen Fragen erst anfangen: Warum werden Zahlen veröffentlicht, mit denen niemand etwas anfangen kann? Warum wird in der Bundesvorstandssitzung quasi rituell die Mitgliederzahl M vorgelesen, wenn anschließend M nicht benutzt werden darf, da es ja falsche Zahlen sind? Warum gibt es keine geordnete Veröffentlichung von S?
Die Veröffentlichungs- und Berechnungspraxis von S hilft dem Selbstbetrug: Unterjährig kann S praktisch nur zunehmen, ein Mitgliederschwund ist quasi ausgeschlossen. Und zwischen den Jahren fällt S selbstverständlich. Da darf man dann natürlich erst recht keinen Mitgliederschwund herauslesen. Lehnt man jetzt also auch noch Jahresendvergleiche ("Schnee von gestern!") und Periodenvergleiche ("Berücksichtigt nicht verschiedene Parteitagstermine!") ab, ist S die perfekte Metrik um sich selbst zu belügen.
Die im Wiki unregelmäßig veröffentlichten Zahlen sind auch nicht hilfreich: Denn wenn die Zahl-aktualisierer selbst gehen, endet mit ihnen auch der sichtbare Mitgliederschwund.
Realitätsverweigerung
Setzt man sich jedoch hin, und versucht objektiv zu ermitteln was denn nun genau mit der Mitgliederbasis passiert, dann rennt man argumentativ stets gegen Wände. Die Mitgliederzahl sinkt? Das muss Teil des Konsolidierungsprozesses sein. Es gibt keinen Konsolidierungsprozess? Dann sind deine Zahlen falsch. Die Zahlen sind richtig? Dann ist der letzte Bundesvorstand schuld. Den Zahlen nach verschwand die Hälfte eines Landesverbandes nach der Wahl des neuen Bundesvorstands? Dann ist Twitter nicht das richtige Medium um darüber zu reden. Alternativ bist du auch einfach nur doof oder ein linksextremistischer Troll. Dein Landesverband hat sich in Luft aufgelöst? Das waren sowieso alles die falschen Leute, und damit können die richtigen Leute endlich wieder eintreten.
Manchmal ist die Wahrheit hart: Es gibt einen Mitgliederschwund. Es gibt keine Konsolidierung. Es gibt keine Wiedereintrittswelle, und selbst wenn es eine Wiedereintrittswelle gäbe, dann handelt es sich mehr um ein eingehendes Wellchen, welches der Ebbe nichts anhaben kann.
Ich unterstelle niemandem dass er/sie vorsätzlich irreführen will. Oder sich selbst betrügen will. Oder sich der Realität verweigern will. Alle drei Ursachen sind miteinander verwoben und auch jeweils Symptome der anderen beiden. Ich fasse das mal in einem Begriff zusammen:
Institutionalisierter Blindflug
"Wir könnten dort drei Monate lang Pläne machen und nach drei Tagen sind sie wieder hinfällig. In der Politik kann man eigentlich gar nicht groß anders als zu schauen: Wie ist die aktuelle Entwicklung — und dann jeweils das Beste draus machen."
Michael Ebner, Beisitzer im Bundesvorstand, 22.09.2014
Diese Betriebsblindheit ist symptomatisch für diese Partei. Entscheidungen werden grundsätzlich in Unkenntnis der Faktenlage getroffen. Dass Entscheidungen im Regelfall auf Fakten basieren sollten, hat sich nicht herumgesprochen. Relevante Fakten werden durch Scheintransparenz ersetzt. Seit jeher wird in Bundesvorstandssitzungen – ebenfalls rituell, quasi als piratiger Transparenz-Zauberspruch – der Kontostand vorgelesen. Eine sinnvolle Kenngröße? Nein, natürlich nicht. Mein Kontostand sagt mir nicht, ob mir dieses Geld gehört. Das würde in einer Bilanz stehen. Die Zahl sagt mir nicht wie es der Partei geht. Das würde in einer Gewinn- und Verlustrechnung stehen. Die Zahl sagt mir nur dass ich soviel Geld auf dem Konto habe. Die Liquidität ist also gesichert. Zumindest für heute. Hurra. Und eine Bilanz oder eine Gewinn- und Verlustrechnung? Die Partei bezahlt ja auch einen Wirtschaftsprüfer. Was prüft der zur Zeit so? Naja, nach 2011 gibt es dazu keine Informationen mehr auf Piratenseiten. Interesse dafür muss auch nicht bestehen: schließlich wissen wir den Kontostand. Und solange Geld auf dem Konto ist, können wir uns alles leisten.
"Könnte man bestimmt, nur was würde es uns bringen?
Jürgen Grothof, Beisitzer LV Rheinland-Pfalz, 23.09.2014 auf die Nachfrage ob man denn die Zahlen der stimmberechtigten Mitglieder auch regelmäßig veröffentlichen könne
Das Muster wiederholt sich immer und immer wieder. In Firmen und größeren Institutionen gibt es Gremien, die dieser Betriebsblindheit entgegen stehen sollen. Bei den Piraten ist sie aber immanentes Programm. Konsequent und auf allen Ebenen. Und daran wird auch dieser Blogpost nichts ändern. Warum werden die Ursachen der Wahlschlappen nicht auf Parteitagen debattiert? Weil das unangenehm wäre. Und unangenehme Fakten verdrängt man lieber. Leute, die auf die Probleme zeigen, werden als Teil des Problems begriffen. Betriebsblindheit ist hier nicht ein unerwünschter Nebeneffekt eines Gesamtprozesses, sondern systematisch Teil der piratigen Governance.
Ein schönes Beispiel: Am Jahresbeginn entschied der Bundesvorstand den PShop, quasi den bundesweiten Wahlkampfmerchandising-Laden der Partei, zu schließen. Er legte eine Rechnung vor, die zeigte dass der PShop nicht rentabel war, und die Partei draufzahlen müsste. Es folgte große Unzufriedenheit in der Basis. Dann wurden die Zahlen angezweifelt. Der Shop blieb aber geschlossen. Der neu gewählte Bundesvorstand beschloss den Shop wieder zu öffnen. Der Bundesschatzmeister legte dem Beschlussantrag eine Rechnung bei, die zeigen sollte wie der PShop rentabel betrieben werden kann. Im Gegensatz zur früheren Rechnung des Bundesvorstands wurde nun davon ausgegangen dass Wahlkämpfe nicht mehr nur sporadisch auftreten, insbesondere von externen Wahlterminen abhängen. Stattdessen wird ein stetes Geschäft angenommen. Wer sich diese Tabelle genauer ansieht (und von der Durchmischung von Gewinn- und Verlustrechnung und Cash flow statement nicht abgeschreckt wird) wird feststellen, dass die zukünftige Gewinnrechnung von einer regelmäßigen Vereinnahmung von 10,000€ 'ausstehende Zahlungen' ausgeht. In anderen Worten: Kunden sollen dieselben alten Rechnungen ständig neu zahlen. Natürlich Unsinn, wie jeder, der schonmal eine Rechnung bezahlt hat, bezeugen kann. Aber nach dieser Rechnung (und nur dank dieser Rechnung!) soll der PShop schwarze Zahlen schreiben. Das gewünschte Ergebnis ist da. Und das ist alles was zählt.
Die Zahlen hinterfragen? Könnte man bestimmt, nur was würde es uns bringen?