Donnerstag, 28. Februar 2013

Vorgelebte Gleichstellungspolitik bei der Piratenpartei

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (..) ist Unrecht.
Piratenpartei Deutschland, Grundsatzprogramm
Anzahl der Teilnehmer=2.232; Antworten=2.182; keine Angabe=50;
Angaben in Prozent. männlich: 91.3%. weiblich: 8.7%
Aus der Auswertung der ersten bundesweiten Umfrage der Piratenpartei Deutschland, 2011,
in: Tobias Neumann, Die Piratenpartei Deutschland - Entwicklung und Selbstverständnis, 2011
"Kasperletheater"
"Despotie durch Ausgrenzung"
Klaus von Dohnanyi (SPD), ehem. Bürgermeister Hamburg sowie Thomas Ebermann (Grün-Alternative Liste, GAL)
anlässlich des Einzuges einer reinen GAL-Frauenfraktion in die Hamburger Bürgerschaft 1986

Der Landesverband Berlin hat heute seine Landesliste für die Bundestagswahl 2013 aufgestellt. Und was für eine Liste: die ersten vier Kandidaten auf der Liste sind, ein absolutes Novum in der Piratenpartei, Kandidatinnen.
Die Reaktionen speziell darauf sind, wie nicht anders zu erwarten, gemischt. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass diese Liste ohne Geschlechterquotierung aufgestellt wurde. Und es sei nach Kompetenz und nicht nach Geschlecht gewählt worden. Andere wiederum beschweren sich, dass Männer ungleichbehandelt würden, und eine Quote 50/50 und nicht 43/57 bedeutet hätte. Was mindestens einen Twitterer dazu brachte (als offenkundigen Scherz) für Berlin eine Männerquote zu fordern, und auch aus diversen anderen Kreisen kamen schon ähnliche, jedoch ernstgemeintere Aussagen und Verschwörungstheorien.

Doch bevor sich nun die AG Männer der Piratenpartei aufmacht ein besseres Berlin mit mehr Gleichberechtigung zu fordern, möchte ich kurz ein paar Zahlen und Fakten auf den Tisch legen.

Berlin ist nur eins von 16 Bundesländern

Dank der Landeslistenliste von Käptn_Nemo (Stand: 24.02.2013) lässt sich dank moderner Computertechnik bereits jetzt abschätzen, wie eine mögliche zukünftige Bundestagsfraktion der Piraten in Sachen Geschlechterverteilung aussehen würde:

Die genaue Verteilung hängt von der Fraktionsgröße, und damit von der Zahl der Zweitstimmen ab. Die orangene Linie zeigt an wo die Fraktion mit den aktuell feststehenden Listenkandidaten steht. Der hellorangene Bereich zeigt den insgesamt noch möglichen Spielraum durch die bisher nicht gewählten Landeslisten an. Würden nur noch Männer aufgestellt, würde die orangene Piraten-Linie an den unteren Rand des Bereichs rutschen, würden nur noch Frauen aufgestellt, an den oberen Rand.
Die anderen horizontalen Linien zeigen die Geschlechterverteilung der aktuell bestehenden Bundestagsfraktionen und des gesamten Bundestages zum Vergleich an

Erkenntnisse: Die Piratenpartei befindet sich aktuell in bester Gesellschaft in der konservativen Ecke der Parteienlandschaft. Ohne Diskussion.

Mögliche Rücktritte von Kandidaten sind natürlich nicht berücksichtigt. Ebenso nicht berücksichtigt ist die Unterverteilung zwischen den Landeslisten und die möglicherweise einschlägigen Änderungen im Wahlrecht bezüglich der Vergrößerung des Bundestages; diese würden aber meines Wissens auch die Verteilung nicht ändern, sondern nur die Fraktion schneller wachsen lassen. Hätte Berlin eine reine Männerliste gewählt, wäre die Piratenpartei übrigens nahezu durchgehend unterhalb der CDU/CSU gelandet.

Nun sind die Bundestagswahlen 2013 natürlich nur ein Messpunkt in der Geschichte der Partei. Das darf man doch sicherlich nicht so einfach verallgemeinern. Daher, Punkt 2:

Die Bundestagswahl ist kein Einzelfall

Es ist nicht ganz einfach für sämtliche Landesparlamente die notwendige Datenbasis zu erhalten, da nicht alle Landtage sie überhaupt zur Verfügung stellen. Witzigerweise betreiben hier die vermutet konservativeren (z.B. Baden-Württemberg) Landtage eine offenere Informationspolitik als die anderen (z.B. Berlin). Ich habe mir den Spaß dennoch erlaubt, und mich durch sehr viele Abgeordnetenlisten von Landtagsfraktionen hindurchgezählt.

So sieht es in der Gesamtschau aus:
Die einzelnen Landtage sind jeweils spaltenweise eingetragen, der Bundestag in der letzten Spalte. Berücksichtigt sind alle Fraktionen in der aktuellen Besetzung. Die Durchschnittsangaben berücksichtigen auch fraktionslose Abgeordnete. In der Bundestagsspalte ist der bereits in der obigen Grafik gezeigte mögliche Bereich einer Piratenfraktion angezeichnet.

Erkenntnisse: Die Piratenpartei befindet sich aktuell in 4 Landesparlamenten. In drei der vier Parlamente hat die Piratenfraktion die jeweils niedrigste Frauenquote. Nur in einem Landtag (Saarland) wurde die Piratenpartei noch durch eine andere Partei (die CDU) unterboten.

Jetzt ist in dieser Grafik einiges zu sehen, aber es ist schwer aus ihr etwas allgemeingültiges abzulesen. Und ausserdem kann ich es schon hören...

Die Piratenpartei hat gar kein Genderproblem

Fasst man die Daten aller bestehenden Fraktionen nach Parteien zusammen, und zeichnet sie als Boxplot auf, ergibt sich folgendes Bild:
Der dicke Balken in jeder Parteienspalte gibt den Median der Geschlechterverteilung aller Parteifraktionen an. Bei den Parteien mit mehr als nur einer Landtagsfraktion ist auch ein farbiger Kasten angezeichnet. Dieser Kasten umfasst die Hälfte der Fraktionen. Die Fraktionen ausserhalb werden durch die Antennen und, wenn sie sehr weit vom Mittelwert entfernt liegen, durch Punkte angezeigt.

Erkenntnisse: Die Piratenpartei liegt deutlich unter den sogenannten Mitte/Links-Parteien, und am unteren Rand der bürgerlich/konservativen Parteien. Aber es ist nicht alles schlecht, denn es gibt ja noch eine andere Partei die deutlich schlechter dasteht: Die NPD. Hurra.


Fazit: Die Piratenpartei behauptet sie sei postgender. Trotz der neuen Berliner Landesliste und selbst im Vergleich zu anderen demokratischen Parteien sagen die Fakten dass die Partei eine Männertruppe ist. Das Geschlecht von Mitgliedern nicht zu erfassen, Postgenderism zu postulieren und Bedenkenträger zu ignorieren macht die Partei nicht postgender. Ich sage hier nicht dass die Partei eine Quotenregelung braucht, sondern dass sie zuallererst die Fakten akzeptieren muss: Von einer Gleichgestellung der Geschlechter ist die Partei noch weit entfernt.

Quellcode für Grafiken inklusive Quellennachweise zur Datenbasis
Eine leicht geänderte Fassung dieses Blogposts erschien auch in der Flaschenpost

2 Kommentare:

  1. Fakten: In einer Partei, die aus 90% aus Männern besteht, sind alle anderen daraus folgernden Fakten die logische Konsequenz. 20-25% Frauen in der Wunsch-Bundestagsfraktion sind dann eher überraschend viel und der Gegenbeweis für eine vermutete innerparteiliche Diskriminierung.

    Der erste logische Schritt wäre die Erhöhung der Anteils der entsprechenden Mitglieder. Man müßte also wirklich nur noch Nichtmänner aufnehmen oder wenigstens ein paar besonders maskuline Männer (AG Männer ;-) ausschließen. Die reine Erfassung des Geschlechts würde ja nichts ändern (wenn das gewollt ist).
    Andererseits könnte man versuchen, die Partei für Frauen attraktiver zu gestalten. (Ich wäre für eine vernünftige Diskussionskultur ohne Shitstorms und Fäkalsprache.) Dabei sollten die Frauen, die es ja schon gibt, am besten wissen, was diese interessieren könnte. Einige werden jetzt sagen, dass die Frauenquote dazu beiträgt, dass mehr Frauen eintreten. Das kann gut sein. Aber logisch zu Ende gedacht: Wer freut sich über einen weiteren Haufen Karrieristen, egal welchen Geschlechts? Oder löst man das dann einfach mit einer Parteineumitglieds-Diskriminierung?
    Und daraus eine Gemeinsamkeit mit der CDU/CSU zu machen, geht schon mal gar nicht. Auch "ohne Diskussion". (Und ich spare mir die Gedanken, in die Nähe welcher Parteien man die Piraten mit diesem Argument mindestens genauso gut rücken könnte.) Erstens haben die C's eine Quote und es hat auch nichts genützt (=Gegenbeispiel-Fakt) und zweitens ist die Piratenpartei eben genau als Gegenentwurf zu denen angetreten und würde ihre Existenzberechtigung verlieren, wenn sie jetzt anfangen würde, diesen nachzueifern. (Oder wollen manche genau das?)

    Was kommt als nächstes? Das Parteitags-Delegierten-System?
    Apropos... Gut, eine Drittel-Quote würde (ausser aus prinzipiellen Gründen) nicht viel ändern und niemandem weh tun.
    Aber ich kann auf jeden Fall nicht verstehen, warum diese Diskussion jetzt so wichtig ist. Ist dies das Sturmsignal für Europa oder eher Befriedigung innerparteilicher Meinungshoheits-Bedürfnisse? Das sollte man besonders diejenigen fragen, die diese eigentlich unwichtige Diskussion vom Zaun gebrochen haben (ja das sind erfahrene Piraten, die genau wussten, was das auslöst). Vielen Dank für die Zerstörung der letzten Chancen der Piratenpartei und das Rausekeln von noch mehr Mitgliedern (paradoxerweise wohl auch viele Frauen (egal was dann entschieden wird)).

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  2. Hi,

    ganz großes Danke für das Fakten zusammenstellen.
    Ich finde ebenfalls die 20-25% "sichtbarer Frauenanteil" auf den Listen "nicht sonderlich toll".

    Mir ist aber aufgefallen, daß die 2009 BTW Listen scheinbar nur einen Anteil von 5% hatten und die Listen zu den Landtagswahlen 2012 liegen scheinbar bei 15% (nur Stichproben meinerseits)
    Ich wäre Dir dankbar, wenn Du das mit Deiner Methodik bestätigen oder wiederlegen könntest.

    Für mich macht es einen Unterschied, ob wir "auf einem niedrigen Niveau" verharren, es also starke Belege für eine "gläserne Decke" gibt, oder ob unsere Ansätze, wie zB. Verbesserung des Diskussionsklimas, langsam greifen

    Danke, Rudi

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